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Marianne Krüll
Schizophrenie und Gesellschaft - Zum Menschenbild in Psychiatrie und Soziologie

Erstauflage: C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1977 (Reihe Beck'sche Schwarze Reihe Bd. 155). 314 S.
ISBN 3-406-06755-7.

Ungekürzte Neuauflage (mit neuem Vorwort ) als Taschenbuch: Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt 1986, (Reihe Geist und Psyche). 216 S.
ISBN 3-596-42286-8.
Zur Zeit vergriffen.

 

Inhaltsverzeichnis   Verlagsankündigung   Rezensionen

 

 

 
 


Inhaltsverzeichnis:

1.       Einleitung
2.       Die biogenetische und die soziogenetische Theorie
          der Schizophrenie
2.1       Beschreibung von Schizophren-Sein
2.11       Schizophren-Sein nach der biogenetischen Theorie
2.12       Schizophren-Sein nach der soziogenetischen Theorie
2.2       Beschreibung von Schizophren-Werden
2.21       Schizophren-Werden nach der biogenetischen Theorie
2.211       Ursache
2.212       Verlauf
2.22       Schizophren-Werden nach der soziogenetischen
             Theorie
2.221       Ursache
2.222       Verlauf
2.3       Therapie der Schizophrenie
2.31       Therapie nach der biogenetischen Theorie
2.32       Therapie nach der soziogenetischen Theorie
2.4       Der Schizophrene und der Psychiater in der Gesellschaft

3.       Die biogenetische und die soziogenetische Theorie
          von Normalität - Das Menschenbild in der Gesellschaft
3.1       Beschreibung von Normal-Sein
3.11       Normal-Sein nach dem biogenetischen Menschenbild
3.12       Normal-Sein nach dem soziogenetischen Menschenbild
3.2       Beschreibung von Normal-Werden
3.21       Normal-lWerden nach dem biogenetischen
             Menschenbild
3.22       Normal-lWerden nach dem soziogenetischen
             Menschenbild
3.23       Exkurs: Geschlechtsdifferenzierung im biogenetischen
             und im soziogenetischen Menschenbild
3.3       Der Wandel des Menschenbildes in unserer Gesellschaft

4.       Das biogenetische und das soziogenetische Menschenbild
          in der Soziologie
4.1       Der Sozialisationsbegriff und das Menschenbild in der Soziologie
4.2       Schwerpunkte einer auf dem soziogenetischen
            Menschenbild basierenden Sozialisationsforschung
4.21       Erforschung der Beziehungen zwischen maritalen und
             parentalen Familien der Eltern in bezug auf die
             Sozialisation von Ego
4.22       Erforschung der Formen von ehelicher
             Konfliktaustragung der Eltern in bezug auf die
             Sozialisation von Ego
4.23       Erforschung des Menschenbildes der Eltern in bezug
             auf die Sozialisation von Ego
4.3       Der Sozialforscher als Soziotherapeut
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Glossar psychiatrischer Fachausdrücke
Personenregister

 
 

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Verlagsankündigung
:

Während vor allem Psychiater die Schizophrenie als Ergebnis eines organischen, erblich bedingten Krankheitsprozesses verstehen, sehen Soziologen in ihr das Resultat von gestörten zwischenmenschlichen Beziehungen und fordern eine radikal andere Therapie. Dieser Gegensatz spiegelt die beiden Menschenbilder, die in unserer Gesellschaft miteinander konkurrieren. Das vorliegende Buch gibt einen verständlich geschriebenen, kritischen Überblick über die bio- und soziogenetische Theorie der Schizophrenie und macht deutlich, welche Rolle die Sozialisation in der Familie bei der Entstehung oder Vermeidung schizophrener Erkrankungen spielt. (C.H. Beck 1977)

Das Buch der Bonner Sozialwissenschaftlerin ist nach Auffassung von Fachleuten eine der wichtigsten Arbeiten zur Schizophrenieforschung. Obwohl bereits 1977 erstmals veröffentlicht, ist das Buch, nicht nur nach Auffassung der Autorin, weiterhin so aktuell wie zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung, aktuell deshalb, weil die deutsche Psychiatrie noch immer am "biogenetischen" Menschenbild festhält, noch immer nach dem "Krankheitserreger" der Schizophrenie sucht und weil die große Mehrheit der Psychiater die "soziogenetische" Theorie der Schizophrenie noch immer entweder ignoriert oder polemisch kritisiert. Die meinungsbeherrschende Mehrheit der Psychiater versucht, die therapeutischen Erfolge mit dem soziogenetischen Menschenbild bei als schizophren etikettierten Menschen als "Zufall" oder "Spontanremission" abzutun. Das vorliegende Buch gibt einen verständlich geschriebenen Überblick über die beiden gegensätzlichen Theorien der Schizophrenie und untersucht die Rolle der Sozialisation in der Familie bei der Entstehung oder Vermeidung schizophrener Erkrankungen. (Fischer TB 1986).

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Aus Rezensionen:

"Die Zeit" Mai 1977. Ernst Klee:
Die Schizophrenie der deutschen Schulpsychiatrie nimmt die Bonner Soziologin Marianne Krüll aufs Korn. Sie diagnostiziert die Diagnosen und Begriffe der "Biogenetiker", denen sie die "Soziogenetiker" gegenüberstellt. Das gerät bei Marianne Krüll zu einem spannenden Entwirrspiel ... Die Schizophrenie ist noch kaum erforscht. Die Schulpsychiatrie nimmt eine krankhafte Veränderung des Leibes als Ursache an, einen organischen Prozeß unbekannter Ursache ("biogenetische" Theorie). Das Dilemma: Körperliche Befunde liegen zur Diagnose nicht vor, sondern das vom Normalbürger abweichende "Verhalten" dient zur Diagnose. Oft verhalten sich aber die "Schizophrenen" ganz "normal". Für den Soziologen ergibt sich mancher Widersinn: Da wird vom Patienten "Krankheitseinsicht" verlangt. Ist er einsichtig, ist er krank. Ist er uneinsichtig, ist er erst recht krank, weil die fehlende Krankheitseinsicht als sicheres Krankheitssymptom gilt. Marianne Krüll schließt sich als Soziologin den "Soziogenetikern" an: Schizophrene sehen demnach keinen anderen Ausweg, als Lebenskrisen und Widersprüche unserer Gesellschaft als Konflikt in die eigene Person hineinzunehmen. Schizophrene verleugnen demnach die Widersprüche nicht, verdrängen sie nicht oder projizieren sie auf andere, sondern erleiden sie in eigener Zerrissenheit. Ein Beispiel: Die "Gesunden" verdrängen den Tod. Schizophrene sind aber vom Gefühl des Sterbenmüssens durchdrungen. Die Autorin sieht über das Individuelle hinaus auch gesellschaftliche Schizophrenien: Man lobt in der Erziehung die Bescheidenheit als Tugend, verehrt aber reiche und mächtige Persönlichkeiten. Was ist da normal? Wer ist schizophren? Die Schulpsychiatrie trägt zur Unheilbarkeit der psychisch Kranken ihren Teil bei: Nach ihrer Theorie ist Schizophrenie unheilbar. Die Diagnose ist wie ein Fallbeil: Sie erledigt einen Menschen lebenslänglich. Widersprüche dieser Art, Unerträglichkeiten der gegenwärtigen Psychiatrie spürt die Autorin auf. Sie spießt die Anormalität der "Normalen" auf und weist auf die Sensibilität der "Anormalen" hin. ...

"Frankfurter Allgemeine Zeitung" Oktober 1977. Sylvia Neuhauser:
Anhand einer genauen Analyse sogenannter schizophrener Symptomatik versucht die Autorin, Einblick zu gewinnen in die komplexe Gestalt dessen, was in unserer Gesellschaft als das Normale gilt. Diese bei Anthropologen, Ethnologen und Psychologen beliebte Methode ... führt zu dem Ergebnis, daß in unserer Gesellschaft das biogenetische Menschenbild weitgehend ungebrochene Geltung hat. ... ein Angehöriger unserer Kultur (glaubt), seine Verhaltensweisen seien in erster Linie bedingt durch sein biologisches Erbgut. Entsprechend neigt er dazu, die eigene Daseinsgestalt als die "natürliche", "normale" zu verabsolutieren. ... Menschen, die nicht in der Lage sind, den Widersprüchlichkeiten des täglichen Lebens mit den gewöhnlichen Abwehrmechanismen zu begegnen, ... bedrohen ... die mühsam geglättete Oberfläche des "normalen" Selbstverständnisses ... und werden als "Abweichende" zu "Abnormen". Bei dieser Dialektik zwischen Normalität und Anormalität setzt die Autorin mit ihrer Forderung nach einem soziogenetischen Menschenbild ein. ... Es ist schade, daß dieses ... in seiner Kritik an der einseitig biogenetisch ausgerichteten Psychiatrie hochinteressante Buch ... mit seiner rigorosen Ablehnung der biologischen Betrachtungsweise ... so unergiebig wird. Statt einander fruchtbar zu ergänzen, bleiben am Ende die biologische und die soziologische Betrachtungsweise wieder einmal als unversöhnliche Gegensätze bestehen.

"Psyche" Bd. 34 1980 Helm Stierlin:
... Marianne Krülls erstes Anliegen - die systematische Darstellung modernen psychosozialer Schizophrenie-Theorien - füllt eine Lücke im Lehrangebot für deutschsprachige Studenten der Psychologie und Psychiatrie. Sie ... arbeitet deren Prinzipien klar heraus und faßt die bahnbrechenden Einsichten von Bateson, Lidz, Laing, Wynne und anderen Pionieren der Schizophrenie-Forschung zusammen. Frau Krülls zweite Hauptthematik - die Gegenüberstellung einer biogenetischen und soziogenetischen Schizophrenie-Theorie - ergibt sich aus dem Aufbau ihres Buches. Innerhalb der biogenetischen Theorie sind ... Symptome der Schizophrenie Folge und Ausdruck einer bio-organischen und insbesondere zentralnervösen Störung. ... Dieses Modell entspricht geläufigen medizinischen Vorstellungen: Der Psychiater sieht sich als Mediziner, er postuliert eine Hirnpathologie, forscht nach hereditären Belastungen, behandelt mit Psychopharmaka, und ist distanzierter, statt teilnehmender Beobachter. ... Der soziogenetisch orientierte Schizophrenie-Forscher richtet dagegen den Blick ... auf Psycho-Logik und auf Wechselfälle der Sozialisation, die jeweils zur Verinnerlichung bestimmter Werte, Rollen und Einstellungen führen. Dieser Blickwinkel zeigt uns viele ... als schizophren diagnostizierte Menschen als Irrgänger in einem symbolischen Dschungel, als Opfer von Mystifikationen, die auf verschiedensten Ebenen - familialen wie sozialen - zur Wirkung kommen. Biogenetische und soziogenetische Schizophrenie-Theorien erscheinen somit durch einen Abgrund getrennt ... Aber eine bestimmte Sicht, ein bestimmtes Konzept macht bestimmte Probleme und Fragen überhaupt erst formulierbar. Dazu rechnen etwas Fragen zum Wesen der Normalität und der Sozialisation, die sich nur innerhalb einer soziogenetischen Theorie stellen und beantworten lassen. Hier - in der Skizzierung eines neuen Verständnisses von Normalität und Sozialisierung - erscheint mir Frau Krülls Beitrag am originellsten. ... Marianne Krüll (hat) ein wichtiges, auf dem deutschen Markt schon lange überfälliges Buch geschrieben, dem ich weite Verbreitung wünsche.

"Berliner Ärzteblatt" Juni 1978. C. Ruda:
Die Verfasserin, wissenschaftliche Assistentin am Seminar für Soziologie, berichtet über die Schizophrenie vom Standpunkt ihres Faches aus. Mit anderen Sozioloen kommt auch sie nach einem Studium der einschlägigen Literatur zu dem Ergebnis, daß die Schizophrenie durch die Widersprüche unserer Gesellschaft verursacht wird ... Das Buch ist für Soziologen, Psychologen und Wissenschaftstheoretiker von Bedeutung. ...

"Deutsche Literaturzeitung für Kritik der internationalen Wissenschaft" hrsgg. Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften der DDR. September 1978. Klaus Weise:
Aus der Gegenüberstellung des bio- und des soziogenetischen Verständnisses psychischen Krankseins leitet die Verfn verallgemeinernde Schlußfolgerungen für das Werden der menschlichen Persönlichkeit ab. ... Es wird ausführlich begründet, wie eine biogenetische Interpretation der Persönlichkeitsentwicklung diese ... als unverständlichen, schicksalhaften Reifungs- und Wachstumsprozeß erscheinen läßt ... Eine biogenetische Betrachtungsweise führt so zur Verdeckung des Zusammenhangs zwischen den sozialen Widersprüchen der Klassengesellschaft und der gestörten Entwicklung des Menschen in Form von psychischer Krankheit, Kriminalität, dissozialem Verhalten etc. ... Im Gegensatz dazu erscheint in der soziogenetischen Perspektive das Werden der Persönlichkeit als Folge der ... Erfahrungen, die der Mensch im Verlauf des Sozialisationsprozesses über sich selbst gewinnt. ... Die Konsequenz hieraus ist, daß Eltern, Therapeuten, Partner ... psychopathologische Erscheinungsbilder als Reaktion auf soziale Situationen, als Lernprozesse sehen und damit natürlich in sehr viel höherem Maße eine Verantwortlichkeit für den ... psychisch Kranken zu übernehmen geneigt sind. Für die sozialistische Gesellschaft, in der die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit Ziel aller gesellschaftlichen Prozesse ist, bildet eine solche Betrachtungsweise den Ausgangspunkt für soziale Therapie, Psychotherapie, Rehabilitation und Pädagogik. Allerdings ist vor der Verabsolutierung dieser im Prinzip richtigen Überlegung zu warnen ... Es ist kein Zweifel, und die Entwicklung in den sozialistischen Ländern beweist das, daß unabhängig vom biogenetischen oder soziogenetischen Menschenbild sich andere Formen der Beziehungen zwischen Menschen, Gruppen und zwischen Ländern entwickeln können, Beziehungen, die getragen sind von Freundschaft, gegenseitiger Achtung und Solidarität.

"Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie" Dezember 1978. H.F. Späte:
In engagierter Weise setzt sich die Autorin ... mit dem in den letzten Jahren vieldiskutierten Thema auseinander und versucht, die Wurzeln der biogenetischen und soziogenetischen Theorien der Schizophrenien freizulegen. Mehr denn je gilt heute die Frage nach dem Woher dieser Erkrankungsgruppe als Gewissensfrage, die Antwort darauf häufig als Glaubensbekenntnis des Psychiaters. Das didaktisch bestechend aufgebaute Buch führt den unvoreingenommenen Leser, ohne daß ihm das recht bewußt wird, in die weit ausgebreiteten Armes eines mit sinnfälligen Beispielen gestützten soziogenetischen Schizophrenieverständnisses. ... Trotz der tendenziösen Züge ist das Buch anregend, klug und durch das z.T. aggressive Engagement farbig und lebendig. Der Psychiater wird auf jeder Seite mit den schwachen Stellen seiner Wissenschaft konfrontiert und zum Nachdenken, zur Auseinandersetzung, zur Selbstkritik und zur Neubesinnung gezwungen. Insbesondere die erfrischende Auseinandersetzung mit der tradierten psychiatrischen Nosologie und Terminologie, der Hinweis auf die bekannten Schwierigkeiten in der Abgrenzung von Schizophrenien zu erlebnisreaktiven Störungen und abnormen Entwicklungen, die Verlegenheit, in die wir kommen, wenn wir "Normalsein" definieren sollen, geben reichlich Möglichkeiten zu einer für beide Wissenschaften fruchtbaren Diskussion. ...

 
 
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