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Herausgeberin Marianne Krüll:
Wege aus der männlichen Wissenschaft - Perspektiven feministischer Erkenntnistheorie

Centaurus Verlagsgesellschaft. Pfaffenweiler 1990 (Reihe Feministische Theorie und Politik Bd. 5)
ISBN 3-89085-383-8

Sammlung von Vorträgen, die 1987 und 1988 auf zwei von der Arbeitsgemeinschaft Frauenforschung der Universität Bonn organisierten Symposien gehalten wurden.

 

Inhaltsverzeichnis   Auszug aus dem Vorwort der Herausgeberin

 

 
 


Inhaltsverzeichnis:

Marianne Krüll: Das rekursive Denken im radikalen Konstruktivismus und im Feminismus
Evelyn Fox Keller: Von den Geheimnissen des Lebens zu den Geheimnissen des Todes
Cornelia Klinger: Bis hierher und wie weiter? Überlegungen zur feministischen Wissenschaft- und Rationalitätskritik
Brigitte Weisshaupt: Selbst-loses Selbstsein - Zur Dialektik eines produktiven Mangels
Barbara Schaeffer-Hegel: Thesen zur Konstanz, zur Bedeutung und zur Produktion historischer Erkenntnisbegriffe
Hannelore Bublitz: Rationalisierung und Geschlechterverhältnis
Evelyn Fox Keller: Wissenschaftstheorie in feministischer Perspektive
Kurzbiographien der Autorinnen

 

 
 

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Auszug aus dem Vorwort der Herausgeberin:

Vielen Menschen innerhalb und außerhalb der Wissenschaft stellt sich auch heute noch die Frage, ob man denn überhaupt von der "Männlichkeit" der Wissenschaft sprechen könne, da doch Wissenschaft grundsätzlich neutral und objektiv sei und vor allem nichts mit dem Geschlecht zu tun habe. Noch vor wenigen Jahren war auch ich dieser Meinung. Ich registrierte zwar, daß sich Frauen mehr für Geistes- und Sozialwissenschaften, Männer mehr für Naturwissenschaften interessieren, daß sich auch innerhalb einer Wissenschaft Frauen andere Schwerpunkte auswählen als Männer - in meiner Wissenschaft, der Soziologie beispielsweise, wählen Frauen eher Familiensoziologie, Sozialpsychologie, Männer eher Schichtungssoziologie, Industriesoziologie.
Doch ging ich davon aus, daß dann, wenn es um das eigentlich wissenschaftliche Tun und Denken geht, beide Geschlechter gleich seien. Ich fragte mich nicht, weshalb in den Wissenschaften so wenig Frauen vertreten sind, weshalb Frauen in Deutschland erst seit 1900 studieren, seit 1919 dozieren dürfen. Ich fragte vor allem nicht danach, weshalb bestimmte Strukturen des Denkens, bestimmte Formen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, herkömmliche Wege des Zugangs zu den Forschungs"objekten" usw. usw. mir selbst seit Beginn meines Studiums äußerst unsympathisch waren, weshalb ich mich selbst schon immer bemüht hatte, andere Wege des wissenschaftlichen Arbeitens zu gehen.

Inzwischen stelle ich mir diese Fragen und beantworte sie damit, daß ich "Gender", d.h. die soziale Geschlechtszugehörigkeit, als wesentliche Strukturkategorie in unserer Gesellschaft in allen ihren Bereichen, gerade auch in der Wissenschaft, betrachte. Für mich war dieser Schritt von sehr weitreichender Konsequenz, denn mein Weg verlief danach nicht mehr in den gewohnten Bahnen. Es hieß, vieles Altvertraute und Liebgewonnene über Bord zu werfen, es hieß, Unsicherheit zu ertragen, Angriffe, auch persönlicher Art, auszuhalten und nicht zu verzagen.
Denn das erfährt jede Frau sofort, wenn sie die Wissenschaft nicht als eine abgehobene, über allem schwebende "objektive" und daher Macht beanspruchende Institution betrachtet, sondern Wissenschaft als Produkt von Männern zur Erhaltung einer patriarchalischen Gesellschaft ansieht, dann wird ihr selbst der Status einer beachtenswerten Wissenschaftlerin sehr schnell entzogen, ihre Sichtweise wird für "nicht-wissenschaftlich", weil "subjektiv" und "politisch", also für nicht-"wertneutral" deklariert. Das, was sie als Wissenschaftskritikerin aufzuzeigen versucht, daß nämlich Wissenschaft nie wertneutral, sondern immer politisch, immer subjektiv ist, daß die herkömmliche Wissenschaft eben deshalb eine männliche Sicht widerspiegelt, weil sie von wertenden, politisch handelnden, subjektiven Männern betrieben wird, - das wird gegen sie selbst gewendet, um sie aus "der" (männlichen!) Wissenschaft auszustoßen.
Das scheint auch der Grund zu sein, weshalb so viele Wissenschaftlerinnen den Weg der feministischen Betrachtung und Kritik der herkömmlichen Wissenschaft scheuen. Es ist sehr schwer auszuhalten, in den Augen von geschätzten Kollegen nicht mehr als "wissenschaftlich" zu gelten, den Anfeindungen wegen mangelnder "Objektivität", wegen zu starker "Emotionalität" zu begegnen. Immer mehr Wissenschaftlerinnen aus allen Bereichen und Orientierungen sind jedoch inzwischen bereit, dieses Risiko einzugehen und eine neue, eine andere Wissenschaft zu fordern, die Gender als Kategorie der Wissenschaftlichkeit mit einbezieht.
In den hier vorliegenden Beiträgen ist deutlich zu erkennen, wie verschiedenartig jede Einzelne sich ihren Weg durch das Dickicht schlägt. ... Bei aller Gegensätzlichkeit ist jedoch die gemeinsame Richtung klar: Wir wollen selbst über unsere Welt und uns als Frauen nachdenken und forschen, weil die Forschung und das Denken von Männern über uns zu unserem Schaden ist. Mehr noch: Diese Wissenschaft, die nahezu ausschließlich von Männern betrieben wird, ist nicht nur für uns Frauen von Schaden, sondern für uns alle. Eine Wissenschaft, die nur ein halbes Mensch-Sein als Forschenden - eben den angeblich "rationalen", "neutralen", "objektiven" Mann - gelten läßt, wird in einem erschreckenden Maße unmenschlich, wie wir es in Evelyn Fox Kellers Beitrag über die Geheimnisse des Lebens und des Todes beispielhaft vor Augen geführt bekommen.
Daß feministische Wissenschaftskriterinnen zwar in der Richtung, nicht aber in allen Punkten einig sind, wird in Cornelia Klingers Beitrag deutlich, der eine detaillierte Übersicht über die Entwicklung und den heutigen Stand (besser: den heutigen Prozeß!) der feministischen Erkenntnistheorie liefert. Brigitte Weisshaupt, Barbara Schaeffer-Hegel und Hannelore Bublitz bestimmen ihre eigene Position innerhalb der feministischen Erkenntnistheorie anhand einer Auseinandersetzung mit tradierten philosophischen Begriffen, die sie in der Gender-Perspektive reflektieren. In meinem Beitrag stelle ich die Frage nach den Konsequenzen eines rekursiven, auf das (weibliche bzw. männliche) Subjekt rückbezogenen Denkens für ein neues Wissenschaftsverständnis. Und Evelyn Fox Kellers abschließender Beitrag beleuchtet in ähnlicher Meta-Perspektive die Möglichkeiten einer Erneuerung der Wissenschaft, insbesondere der Naturwissenschaften. ...

 

 
 
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