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Auszug aus dem Vorwort der Herausgeberin:
Vielen Menschen
innerhalb und außerhalb der Wissenschaft stellt sich auch heute
noch die Frage, ob man denn überhaupt von der "Männlichkeit"
der Wissenschaft sprechen könne, da doch Wissenschaft grundsätzlich
neutral und objektiv sei und vor allem nichts mit dem Geschlecht zu tun
habe. Noch vor wenigen Jahren war auch ich dieser Meinung. Ich registrierte
zwar, daß sich Frauen mehr für Geistes- und Sozialwissenschaften,
Männer mehr für Naturwissenschaften interessieren, daß
sich auch innerhalb einer Wissenschaft Frauen andere Schwerpunkte auswählen
als Männer - in meiner Wissenschaft, der Soziologie beispielsweise,
wählen Frauen eher Familiensoziologie, Sozialpsychologie, Männer
eher Schichtungssoziologie, Industriesoziologie.
Doch ging ich davon aus, daß dann, wenn es um das eigentlich wissenschaftliche
Tun und Denken geht, beide Geschlechter gleich seien. Ich fragte mich
nicht, weshalb in den Wissenschaften so wenig Frauen vertreten sind, weshalb
Frauen in Deutschland erst seit 1900 studieren, seit 1919 dozieren dürfen.
Ich fragte vor allem nicht danach, weshalb bestimmte Strukturen des Denkens,
bestimmte Formen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, herkömmliche
Wege des Zugangs zu den Forschungs"objekten" usw. usw. mir selbst
seit Beginn meines Studiums äußerst unsympathisch waren, weshalb
ich mich selbst schon immer bemüht hatte, andere Wege des wissenschaftlichen
Arbeitens zu gehen.
Inzwischen stelle
ich mir diese Fragen und beantworte sie damit, daß ich "Gender",
d.h. die soziale Geschlechtszugehörigkeit, als wesentliche Strukturkategorie
in unserer Gesellschaft in allen ihren Bereichen, gerade auch in der Wissenschaft,
betrachte. Für mich war dieser Schritt von sehr weitreichender Konsequenz,
denn mein Weg verlief danach nicht mehr in den gewohnten Bahnen. Es hieß,
vieles Altvertraute und Liebgewonnene über Bord zu werfen, es hieß,
Unsicherheit zu ertragen, Angriffe, auch persönlicher Art, auszuhalten
und nicht zu verzagen.
Denn das erfährt jede Frau sofort, wenn sie die Wissenschaft nicht
als eine abgehobene, über allem schwebende "objektive"
und daher Macht beanspruchende Institution betrachtet, sondern Wissenschaft
als Produkt von Männern zur Erhaltung einer patriarchalischen Gesellschaft
ansieht, dann wird ihr selbst der Status einer beachtenswerten Wissenschaftlerin
sehr schnell entzogen, ihre Sichtweise wird für "nicht-wissenschaftlich",
weil "subjektiv" und "politisch", also für nicht-"wertneutral"
deklariert. Das, was sie als Wissenschaftskritikerin aufzuzeigen versucht,
daß nämlich Wissenschaft nie wertneutral, sondern immer politisch,
immer subjektiv ist, daß die herkömmliche Wissenschaft eben
deshalb eine männliche Sicht widerspiegelt, weil sie von wertenden,
politisch handelnden, subjektiven Männern betrieben wird, - das wird
gegen sie selbst gewendet, um sie aus "der" (männlichen!)
Wissenschaft auszustoßen.
Das scheint auch der Grund zu sein, weshalb so viele Wissenschaftlerinnen
den Weg der feministischen Betrachtung und Kritik der herkömmlichen
Wissenschaft scheuen. Es ist sehr schwer auszuhalten, in den Augen von
geschätzten Kollegen nicht mehr als "wissenschaftlich"
zu gelten, den Anfeindungen wegen mangelnder "Objektivität",
wegen zu starker "Emotionalität" zu begegnen. Immer mehr
Wissenschaftlerinnen aus allen Bereichen und Orientierungen sind jedoch
inzwischen bereit, dieses Risiko einzugehen und eine neue, eine andere
Wissenschaft zu fordern, die Gender als Kategorie der Wissenschaftlichkeit
mit einbezieht.
In den hier vorliegenden Beiträgen ist deutlich zu erkennen, wie
verschiedenartig jede Einzelne sich ihren Weg durch das Dickicht schlägt.
... Bei aller Gegensätzlichkeit ist jedoch die gemeinsame Richtung
klar: Wir wollen selbst über unsere Welt und uns als Frauen nachdenken
und forschen, weil die Forschung und das Denken von Männern über
uns zu unserem Schaden ist. Mehr noch: Diese Wissenschaft, die nahezu
ausschließlich von Männern betrieben wird, ist nicht nur für
uns Frauen von Schaden, sondern für uns alle. Eine Wissenschaft,
die nur ein halbes Mensch-Sein als Forschenden - eben den angeblich "rationalen",
"neutralen", "objektiven" Mann - gelten läßt,
wird in einem erschreckenden Maße unmenschlich, wie wir es in Evelyn
Fox Kellers Beitrag über die Geheimnisse des Lebens und des Todes
beispielhaft vor Augen geführt bekommen.
Daß feministische Wissenschaftskriterinnen zwar in der Richtung,
nicht aber in allen Punkten einig sind, wird in Cornelia Klingers Beitrag
deutlich, der eine detaillierte Übersicht über die Entwicklung
und den heutigen Stand (besser: den heutigen Prozeß!) der feministischen
Erkenntnistheorie liefert. Brigitte Weisshaupt, Barbara Schaeffer-Hegel
und Hannelore Bublitz bestimmen ihre eigene Position innerhalb der feministischen
Erkenntnistheorie anhand einer Auseinandersetzung mit tradierten philosophischen
Begriffen, die sie in der Gender-Perspektive reflektieren. In meinem Beitrag
stelle ich die Frage nach den Konsequenzen eines rekursiven, auf das (weibliche
bzw. männliche) Subjekt rückbezogenen Denkens für ein neues
Wissenschaftsverständnis. Und Evelyn Fox Kellers abschließender
Beitrag beleuchtet in ähnlicher Meta-Perspektive die Möglichkeiten
einer Erneuerung der Wissenschaft, insbesondere der Naturwissenschaften.
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