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Rezensionen:
"Familiendynamik" 2/2003, S. 265-267 Almuth Massing
... Marianne Krüll geht es darum aufzuzeigen, "wie die Schicksale
der Menschen in den Vorgenerationen mit denen der Nachfahren verbunden
waren", (um) prägende Einflüsse aufzuspüren, die
unerkannt in der Gegenwart wirksam bleiben und hierdurch Zukunft
blockieren. ...
Feministisches Prinzip ist bei ihr erkenntnisleitend. Ihre Wanderung
führt durch Räume, Orte, Landschaften und Zeiten. Die
Familientafeln und alten Landkarten im Anhang, die ausgesuchten Fotos
wie auch das konkrete Aufsuchen der Lebensorte ihrer Familien laden uns
zur Teilnahme ein. ... Marianne Krüll ist sich der Gratwanderung
bewußt, wenn sie den zu schützenden persönlichen Raum
verläßt und uns Fremde die Tür zu ihrer Familie -
zentriert um Mutter und Tochter - weit öffnet.
Doch diese intime Einladung bewirkt Zentrales: Die Autorin schneidet
der Leserin und dem Leser den Weg ab lediglich, voyeuristisch oder
beurteilend zu bleiben. Die Leserin und der Leser geraten unbemerkt in
einen Sog, mit ganzer Seele im Netzwerk der eigenen Familiengeschichten
eingefangen zu wein. Und hiermit mutet Marianne Krüll uns einen
beschwerlichen Auseinandersetzungsprozeß zu. Vordergrund (Buch)
und Hintergrund ( eigene Biographie) verschwimmen ineinander. ...
Anteile der eigenen Lebensgeschichte sind dieser zuzuordnen, um wieder
die Aufmerksamkeit auf Marianne Krüll und Käthe, ihre Mutter,
zu richten. ... Marianne Krülls Stilmittel, Zwiesprache mit den
Personen ihrer Biographie, insbesondere mit ihrer Mutter und "der
Mutter in mir" zu halten, bewirkt ..., daß auch eine anhaltende
Zwiesprache zwischen der Autorin und der Leserin oder dem Leser als
auch mit den Personen der jeweils eigenen Biographie entsteht.
Dieser Prozeß ist einer der stärksten Eindrücke, die
das Buch hinterläßt. Die Versuchung liegt immer wieder nahe,
Schmerzliches, Verletzendes, Empörendes, Ideologisches,
Anmaßendes, Verbittertes "nur" bei Marianne Krüll zu sehen
oder auf sie abzuwälzen. Hierzu eignen sich vor allem die
vielfältigen, teils kaum erträglichen Szenen in dem Kapitel
um das Zerwürfnis von Marianne Krüll und ihrer Mutter, in dem
sich beide Frauen in ihrer Unerbittlichkeit nichts nachstehen und sich
nichts schenken. ... Eine weitere Versuchung, dem Eigenen zu entgehen
liegt darin, Marianne Krülls Biographie quasi wie eine
"Fallvorstellung" in einem Seminar mit psychoanalytischen,
familientherapeutischen oder soziologischen Hypothesen zu
interpretieren oder aber sich als "jüngere Schwester" dieser
älteren Schwester durch Entwertungen zu erwehren. Ein dergestaltes
Ausweichen als Widerstand gegen die Auseinandersetzung mit der eigenen
Biographie zu entlarven ist Zumutung und Herausforderung dieses
ergreifenden Buches. ...
Das fasziniernd gestaltete bibliographische Buch von Marianne
Krüll "Käthe, meine Mutter" ist ein an- und aufregendes
Dokument einer lebenslang anhaltenden Trauerarbeit. Es rührt an,
macht neugierig, läßt auch abschrecken, aber dann erkennen,
daß eine solche Trauerarbeit all ihren weichen und harten
Facetten den Weg bereitet, um Frieden zu schließen. Marianne
Krülls Prozeß um ihre Mutter Käthe gibt Auskunft
darüber, daß heftigste Auseinandersetzungen zwischen uns und
unseren primären Bezugspersonen diese nicht "töten", sondern
zur Überwindung kindlicher Abhängigkeiten und entsprechender
Allmachtsphantasien ernüchternd sind.
Marianne Krüll hat uns ihr höchst Persönliches
anvertraut und lädt uns dazu ein, sich den eigenen
Familienvermächtnissen anzunähern und sich von deren Sog zu
befreien. ...
Virginia Frauenbuchkritik. Frühling 2002. Anke Schäfer.
Jede Frau ist eine Tochter
Liebe Marianne,
während meines Winterurlaubs habe ich Dein jüngstes Buch
"Käthe, meine Mutter" mit Spannung gelesen. Es war genau die
richtige Literatur für lange Winterabende. ... Du folgtest den
Spuren Deiner Altvorderen, und ich folgte Dir auf Deinen
Recherchereisen, die Du mit der Bahn und zum Teil mit dem Fahrrad
unternommen hast. ... Du lässt Deine LeserInnen teilhaben an den
Ausflügen, indem Du die Landschaften und Orte beschreibst, die Du
vorfandest. ...
Dein Buch über Dich und Deine Mutter Käthe ist zwar eine
subjektive, unspektakuläre Biografie, aber Du wünschtest mit
dieser Geschichte der einen oder anderen Leserin eine Anregung zu
geben, sich "ebenfalls einmal auf die Spurensuche nach der Geschichte
der eigenen Mutter zu begeben." Ich habe mich als Leserin gern auf das
Leben Deiner Käthe-Mutter eingelassen ...
Du erforschtest ihr Leben, ihre Ehe, ihre Träume, ihre Zeit als
Tochter und später als Mutter zweier Töchter, und ich erfuhr
immer wieder auch viel über Dich selbst. ... Du warst die
Lieblingstochter Deiner Mutter, und dennoch, als Du 1963 glaubtest,
Dich von ihrem mütterlichen Einfluss befreien zu müssen,
warst Du ihr gegenüber so hart. Ich als unbedarfte
außenstehende Leserin verstand Dich nicht. Ich nahm Dir ziemlich
übel, dass Du so brutale Mütterschelte betrieben hast. Ich
war der Meinung, dass Du kein Recht hattest, ihr weh zu tun, die so
viel für Dich getan hat. Aber dann erinnerte ich mich daran,
daß Du immer wieder betont hast, dass Du keine andere als diese
Möglichkeit gesehen hast, Dich von Deiner geliebten Mutter zu
lösen, um erwachsen zu werden.
Schön fand ich es dann doch, dass Du, nachdem diese Geschichte
fertig geschrieben war, mit Käthe, Deiner Mutter, Frieden
schließen konntest. Dafür ist es ein wichtiges und auch
äußerlich ein wunderschönes Buch geworden, für das
ich Dir sehr danke und dem ich eine große Verbreitung
wünsche.
... Sei herzlich gegrüßt von Anke.
"Blattgold" Berlin 11/2001 Barbara Degen
"Jede Lebensgeschichte ist es wert, erzählt zu werden", so
führt Marianne Krüll die Leserin in das "unscheinbare" und
"bescheidene" Leben ihrer Mutter und in die Mutter-/Tochterbeziehung
ein und macht damit von Anfang deutlich, dass es ihr nicht um
spektakuläre, herausragende Geschichten und
Erzählstränge geht, sondern darum, das Leben ihrer Mutter,
eingebunden in eine größere Familiengeschichte, die
politischen Zusammenhänge des 20. Jahrhunderts und den Hoffnungen
und Wünschen von Frauen ihrer Zeit deutlich zu machen und so die
Auswirkungen auf die eigene Geschichte zu erfassen.
Sehr schnell wird auch klar, dass die Autorin durch ihre Spurensuche
auch versucht, sich von Selbstvorwürfen zu befreien: In
Zusammenhang mit der Aufbruchbewegung der Frauen in der 68er-Bewegung
kam es zu harten Auseinandersetzungen und Vorwürfen der Tochter
gegenüber der Mutter, die einen Riss in der Beziehung zur Folge
hatten, der bis zum Tod der Mutter nicht geschlossen werden konnte.
Rückblickend ist Marianne Krüll diese harte, brutale
Konfrontation mit den "Lebenslügen" der Mutter
unverständlich, ihr Buch ist der Versuch, der Mutter gerecht zu
werden, im Nachhinein Versöhnung zu leisten.
In der mütterlichen Familie gab es viele schriftliche
Auszeichnungen und Fotos, die aufbewahrt wurden und die die
erzählte Geschichte außerordentlich lebendig werden lassen.
Die Erzählung beginnt mit ihrer Urgroßmutter Elisabeth,
einer Bäuerin. Die Großmutter Anna ist am Anfang des 20.
Jahrhunderts als Landmädchen in die Stadt gekommen. ... Sie wird
Dienstmädchen und geht in eine Fleischerlehre ... Marianne
Krüll hat die wichtigsten Orte besucht und politische
Zusammenhänge recherchiert, so dass immer auch bunte Zeitbilder
entstehen wie bei der Wandervogel-Bewegung, die im Leben der Ehe von
Käthe eine große Rolle gespielt hat....
Käthe und ihr Mann wohnten und lebten im ärmlichen
Verhältnissen, 24 Jahre lang in einer Laube in Berlin und werden
von der Autorin als "kleine Mitläufer" des Nationalsozialismus
geschildert ... Das höchste Ziel von Käthe ist ein eigenes
Haus, für das sie riesige Anstrengungen in Kauf nimmt. ...Da ist
es nur logisch, dass die unangenehmen Begleiterscheinungen im
Nationalsozialismus wie die Judentransporte übersehen und
später nicht mehr erinnert werden. ... Die Familie überlebt
relativ unbeschadet die Kriegs- und Nachkriegszeiten. Danach wurde das
Leben "wieder schön".
Mit dem Studium der Töchter ... holt die Brüchigkeit des
eigenen Lebenskonzeptes ...die Mutter ein. Die Tochter - durch ihr
Psychologie- und Soziologiestudium sensibilisiert - konfrontiert die
Mutter mit deren eigener Lebenslüge von der intakten Familie, die
durch alle Zeiten hindurch funktioniert hat und verliebt sich in einen
Juden. Die Mutter ... reagiert außerordentlich scharf und ist
nach den Schilderungen von Marianne Krüll nicht in der Lage, sich
selbst und ihren Lebensentwurf kritisch zu betrachten.
Für die Autorin ist die Versöhnung mit der Mutter Quintessenz
ihres Buches. ... Genau an diesem Punkt setzen meine eigenen Bedenken
ein: Lässt sich ein so eminent politisches Problem wie die
Auseinandersetzung der Töchtergeneration mit der
nationalsozialistischen Müttergeneration tatsächlich durch
eine derartige Versöhnung lösen? ... War es nicht historisch
wichtig und überfällig, in einem explosiven Aufbruch die
unglücklichen Zusammenhänge zwischen der Einbindung in den
Nationalsozialismus, der Vorstellung der Frauen, sie seien
"unpolitisch" und die damit verbundenen Lebenslügen zu sprengen?
Unabhängig von diesen Zweifeln hat Marianne Krüll ein Buch
geschrieben, das unbedingt zum Lesen empfohlen wird. Ein Buch, das sich
spannend, sorgfältig und differenziert, mit den Frauenbiografien
des 20. Jahrhunderts beschäftigt, das dem Alltagsleben, den
Wünschen und Hoffnungen der Frauen endlich den gebührenden
Platz einräumt und die Leseinnen anregt, ihre eigenen
Familiengeschichten unter dem Aspekt der Mutter- /Tochterbeziehungen
und weiblicher Genealogien zu untersuchen. Das Buch ist auch
äußerlich sehr schön geworden, grafisch hervorragend
gestaltet. Das Fotomaterial ist hervorragend ausgesucht und gut
platziert. Es entsteht ein sinnliches Lesevergnügen.
Schlangenbrut 74/2001 Andrea Blome
Wer war meine Mutter? Dieser Frage hat Marianne Krüll ein
ungewöhnliches Buch gewidmet. Keine wissenschaftliche Abhandlung,
keine Biografie im eigentlichen Sinn. Die Autorin deckt
Familienzusammenhänge auf beginnend mit Anna, der Mutter ihrer
Mutter, erkennt Lebensmuster in den Geschichten der VorfahrInnen und
erzählt vom Frauenleben im Kontext der Jahrzente. "Käthe,
meine Mutter" ist ein Zwiegespräch mit ihrer 1974 im Alter von 63
Jahren verstorbenen Mutter, es erzählt die Geschichte so wie die
Tochter sie aus ihren Erinnerungen, aus Dokumenten, Briefen,
Erzählungen von Verwandten rekonstruieren kann und sie sich bei
unzähligen Reisen in die Vergangenheit vorstellt.
Die Soziologin dokumentiert damit auch die Geschichte einer
Mutter-Tochter-Beziehung, die von einem schweren Zerwürfnis
geprägt war, von Schuldgefühlen nach dem Tod und dem Versuch,
auf der Spurensuche "die Mutter in mir" zu finden. Mit zuweilen
beklemmender Ehrlichkeit schreibt sie über ihre Kämpfe mit
der Mutter. "Alles was in meinem Leben schiefgelaufen war, meinte ich,
dir ankreiden zu müssen." Erst viel später erkennt sie, wie
sehr ihr Konflikt mit der Mutter einem typischen Muster in
patriarchalen Gesellschaften entspricht, wie sie sich eingereiht hatte
in die "Mutter-Schelte, mit der man den Müttern alle Schuld an den
Missständen in der Familie zuschreibt".
Marianne Krülls Buch macht neugierig auf die alten Fotokisten, auf
die Geschichten der eigenen Mutter, der Großmütter und
Tanten. Und es will ein Beitrag sein zu einem
"Mutter-Tochter-Versöhnungsprozess". "Nur die Versöhnung mit
den Müttern und Vormüttern in unserer Familie kann eine
tragende Basis liefern für Solidarität unter Frauen."
FemBio (www.fembio.org/news/buchtip.shtml) Buch der Woche August/September 2001 Luise Pusch:
... Die bekannte Familiensoziologin und Autorin von Bestsellerinnen
über Familie Freud und Familie Mann knöpft sich hier ihre
eigene Familie vor, mit Käthe, ihrer Mutter, als Mittelpunkt. In
den Rezensionen heißt es gern, daß nicht nur das Leben
berühmter Menschen interessant sei, und daß Marianne
Krüll mit der Biographie ihrer Mutter einen schönen Beweis
dafür erbracht habe. ...
Aber Käthe Höppner geb. Schiddel war ja immerhin die Mutter
einer berühmten Frau - nämlich ihrer Biographin. Wir lesen
das Buch auch, um mehr über Marianne Krüll zu erfahren, so
wie wir in letzter Zeit Sigrid Damms Bestsellerinnen über
Christiane Vulpius und Cornelia Goethe mit doppeltem Interesse gelesen
haben. Das Leben von Christiane Vulpius, Cornelia Goethe und Käthe
Schiddel ist interessant in sich, keine Frage, aber es wird doppelt
interessant durch den Bezug zu einer anderen, weit bekannteren
Persönlichkeit.
Das eigentlich Besondere an dem Buch ist nicht, daß die
Hauptperson dem Publikum bis dahin unbekannt war. Bücher von -
mehr oder weniger bekannten - Söhnen und Töchtern über
gänzlich unbekannte Väter gibt es en masse, gerade in
Deutschland hatten wir geradezu eine Epidemie von Väterbiographien
zu verkraften. Ungewöhnlich und erfreulich ist, daß sich
hier eine Frau auf ihre Mutter konzentriert statt auf ihren Vater. Auf
so eine abstruse Idee kann auch nur eine Feministin kommen.
Ich habe aus der Lektüre viel erfahren über die Zeit und die
Einflüsse, denen meine eigene Mutter (geb. 1918, sieben Jahre nach
Käthe) ausgesetzt war, und viel über meine Freundin Marianne,
die acht Jahre älter ist als ich. Am meisten hat mich das
armselige, von dem Kind Marianne aber als glückselig empfundene
Leben in der Spandauer Laubenkolonie bewegt, und das Überstehen
der jahrelangen, ständigen Bombenangriffe in Berlin. Das wird
ergreifend tapfer und lakonisch erzählt und hat mich (1944 in
einer westfälischen Kleinstadt geboren und so dem Bombenterror
knapp entkommen), bis in die Träume verfolgt. Einmal durchschlug
eine Brandbombe Mariannes Bettcouch: "Ich schlief weiter auf der Couch
mit dem Brandloch. Der Geruch ging lange nicht weg." Marianne war
sieben Jahre alt...
Auch ich hatte, wie anscheinend die meisten Frauen im Patriarchat,
einen ausgedehnten Konflikt mit meiner Mutter. Zum Glück konnten
wir ihn ausräumen - inzwischen begegnen wir uns wie Schwestern.
Marianne Krüll verlor ihre Mutter 1974 ganz plötzlich, ohne
sich mit ihr ausgesöhnt zu haben. Käthe war erst 63, Marianne
38 Jahre alt, verheiratet und selbst Mutter zweier Töchter. Dies
Buch ist auch eine große, lange Trauerarbeit, eine "nachgetragene
Liebe" (wie Härtling sein Buch über den Vater nannte), und
das ist auch das Bewegendste daran: Der bei aller Kritik an der
Nazi-Mitläuferin Käthe nie selbstgerechte Ton von
Behutsamkeit, Liebe und Verstehenwollen, der das ganze Buch durchzieht.
EMMA Juli/August 2001 Ulla Lessmann:
Die "unbekannten Biographien unbekannter Frauen" statt die
Heldengeschichten über berühmte Männer wollte Virginia
Woolf lesen. Als Familiensoziologin hat Marianne Krüll schon das
Beziehungsgeflecht der Familie Mann ("Im Netz der Zauberer")
analysiert. Jetzt vertieft sie sich mit gleicher Akribie und Neugier in
die Geschichte ihrer eigenen Familie, genauer: in die ihrer Mutter.
Denn Mutter Käthes Leben und Herkunft ist exemplarisch für
ein Frauenleben ihrer Generation. Aber Krüll will mehr als das:
Sie will mit der Biographie über die eigene Mutter auch als
Tochter mit ihr ins Reine kommen. Das Buch wird so zu einer
Gratwanderung. Aber Krüll liefert dabei weder die Mutter noch sich
selbst völlig aus und damit gelingt ihr das, was ihre
erklärte Absicht ist: Die Nachkriegsgeneration der Töchter zu
einem tieferen Verständnis und zur Versöhnung mit der
Müttergeneration zu bewegen.
frauensachbuch.de Mai 2001. Marlies Hesse
Wer die erfolgreichen Biografien der Soziologin und
Schriftstellerin über das Familiennetz von Thomas Mann oder
über die ungelöste Vaterbindung von Sigmund Freud gelesen
hat, wird sich zunächst fragen, was Marianne Krüll bewegt
haben mag, die Lebensgeschichte ihrer Mutter aufzuschreiben. Dass die
eigene Familiengeschichte ebenso interessant ist wie die von
Berühmtheiten, offenbaren bereits die fesselnden Anfangskapitel
des Buches, die sie ihren Vorfahren widmet. Im Blickfeld auf ein
Jahrhundert Zeitgeschichte in Ost und West hat sie alle wichtigen
Lebensstationen ihrer Mutter eingebettet. Damit eröffnet sie den
Leserinnen zugleich die Möglichkeit, Parallelen oder
Ähnlichkeiten zu ihrem Elternhaus zu ziehen. Gute und negative
Erfahrungen werden wie von selbst wach und geben Anlass, emotionale
Bindungen von Eltern und Kindern neu zu überdenken. Mit der Frage
„Wer war meine Mutter?“ stellt sich Marianne Krüll
(65) bewusst ihrer eigenen Geschichte, die für sie zu einer Art
Gratwanderung wird. Viele Töchter der Nachkriegszeit sehen ihre
Mutter ebenso beschrieben wie Käthe: eine unscheinbare Frau, die
den Zeiten entsprechend „einfach“ und
„bescheiden“ lebte.
Für die Auseinandersetzung mit ihrer seit über 25 Jahren
verstorbenen Mutter wählte die Autorin die Form der direkten
Ansprache, so als könne sie ihr noch Fragen stellen. Die
Erzählungen über die Vergangenheit gewinnen dadurch an
kraftvoller Intensität. Ihre Recherchen führen sie in viele
Orte und auf Fährten zu dem, was Familie bedeutet. Bei Verwandten
und Freunden betreibt sie Nachforschungen. Mit der ergänzenden
Foto-Auswahl lässt sie einen Eindruck vom Äußeren der
beschriebenen Personen lebendig werden. Vor allem sind es aber Briefe
und Tagebuchaufzeichnungen, mit denen sie den bisher ihr unbekannt
gebliebenen Teil des Lebens ihrer Mutter rekonstruiert. Mühsam hat
sie alles zusammengetragen, was sie über ihre Herkunft erfahren
konnte. In vergoldeten Bildern entfaltet sie das Paradies einer
behüteten Kindheit. Sie wird sich wieder all der Gefühle
bewusst, die sie seit jungen Jahren empfand. Schicht um Schicht deckt
sie verschüttete Erinnerungen auf. Unerschrocken stellt sie sich
den Verstrickungen und dem großen Zerwürfnis mit ihrer
Mutter in ihrer studentischen „Revoluzzerzeit“. Vorsichtige
Annäherungsversuche gab es zwar anschließend, aber zu einer
Versöhnung kam es nicht mehr. „Wir waren beide gefangen in
den Mauern, die jede um sich herum aufgerichtet hatte“, schreibt
sie. Mit großer Offenheit schildert die Autorin ihre Gefühle
der Ablehnung und Befreiung von der Mutter, lastet ihr auch noch in der
Erinnerung Fehler an. Andererseits gesteht sie ein, die Mutter
unnötig verletzt zu haben. Für den Schock und die Trauer, die
der frühe Tod der Mutter in ihr auslösten, findet sie ihren
ganz persönlichen Ausdruck. Sich von Selbstvorwürfen zu
lösen, gelingt ihr erst bei ihrer Spurensuche in die Vergangenheit
und durch die schriftliche Aufzeichnung der Erlebnisse.
Verständlich, dass sie sich dabei oftmals so vorkommt, als
schriebe sie nicht über sich selbst, sondern über eine
andere, ihr fremde Person. Doch gerade aus der Darstellung
widerstreitender Gefühle gewinnt das Buch an Lebendigkeit und
Authentizität.
Der Frauenbewegung verdankt sie es letzthin, den Konflikt mit ihrer
Mutter als Auswirkung einer patriarchalen Gesellschaft richtig
einzuordnen. Immer mehr begriff sie, welche Kraft Mütter noch vor
Jahrzehnten entwickeln mussten, um ihr Leben zu meistern. Von daher
gesehen ist es verdienstvoll, dass Marianne Krüll inzwischen
Frauen in Seminaren die Erkenntnis vermittelt, dass keine noch so
erstarrte Mutter-Tochter-Beziehung in einer Verhärtung stecken
bleiben sollte.
Marlies Hesse ist Geschäftsführerin des
Journalistinnenbundes. Seit vielen Jahren engagiert sie sich in
verschiedenen Netzwerken. Ihr Schwerpunkt liegt beim Thema
„Frauen und Medien“
"Rüsselsheimer Echo" Mai 2001. Madeleine Heckmann:
Auf denSpuren der eigenen Mutter wandelt die Autorin Marianne
Krüll in ihrem kürzlich im Christel-Göttert-Verlag
erschienenen Buch "Käthe, meine Mutter". Dass die durch ihre
erfolgreichen Biografien über Sigmund Freud und Thomas Mann
bekannte Schriftstellerin diese persönliche Lebensgeschichte nicht
in einem großen Verlag, sondern trotz schlechterer Konditionen im
Rüsselsheimer Frauenbuchverlag veröffentlichte, liegt an dem
besonderen emanzipatorischen Verlagsprogramm.
Die Bücher von Christel Göttert sind nicht nur
äußerlich kleine Kunstwerke, sondern stricken auch
Frauenbande. Jede Veröffentlichung präsentiert eine
Philosophie, die Frauen an das Handeln und Denken anderer, im
Weltenlauf vorangegangener Frauen anknüpfen lässt. Dass
Frauen sich bei aller Unterschiedlichkeit akzeptieren,
unterstützen und voneinander lernen, ist das Grundanliegen. Frauen
sollen sich nicht an Männern messen, sondern eigenes
Selbstbewusstsein entwickeln. Alles andere nutzt nur dem Patriarchat.
Der eigenen Mutter kommt dabei freilich eine besondere Rolle zu.
Käthe, die Mutter von Marianne Krüll, war keine Frau, die
sich in irgendeiner Weise hervortat. Sie entstammt den um die
Jahrhundertwende aus den Bauerndörfern Brandenburgs nach Berlin
aufgebrochenen kleinen Leuten, die sich in der Großstadt ein
besseres Leben versprechen und sich daher mehr schlecht als recht
durchschlagen. Die Vergangenheit, die politische und persönliche,
prägt sich in ihr Leben ein. Käthes Persönlichkeit und
Werdegang erscheint in einem die Sippe umspannenden Familiennetz, in
dem sich Lebensthemen in immer neuen Varianten wiederholen. Den
Geheimnissen, Zerwürfnissen, Hoffnungen und Enttäuschungen
der eigenen Eltern kann sich niemand entziehen. Sie wirken fort.
Die 1936 geborene Marianne Krüll hatte sich in der
"Revoluzzerzeit" der 60er und 70er Jahre aus der sehr engen
Abhängigkeit zu ihrer Mutter mit der damals üblichen
Radikalität gelöst. Die übertriebene Anhänglichkeit
wechselte in unangemessene Kritik über. Jahrelang herrschte
Funkstille. Da Käthe unerwartet und früh starb, kam es zu
keiner wahren Versöhnung.
Indem Krüll die Lebensstationen ihrer Mutter detailliert
recherchiert und die Orte durchwandert, nähert sie sich ihrer
Mutter wieder an. Sie entdeckt ihre Geheimnisse und intimsten
Hoffnungen. Nicht ohne Schmerzen, denn zwei unglückliche
Liebschaften machten Käthe das Leben schwer: eine voreheliche, die
nicht gelebt werden konnte, weil Käthe gesellschaftlich nicht
angemessen zu sein schien. Und eine während der Ehe mit Marianne
Krülls Vater: Käthe hatte ein Verhältnis mit dem Bruder
des Ehemanns.
Die Aufzeichnung dieses ganz gewöhnlichen Lebens ist nicht weniger
packend als das einer Berühmtheit. Sie zeigt, wie verletzlich
Menschen sind und wie sehr jeder mit seinen Vorfahren mehrerer
Generationen verbandelt ist, ohne sich dessen bewußt zu sein.
"General-Anzeiger Bonn" Mai 2001. Susanne Haase-Mühlbauer:
Bekannt geworden ist sie mit ihren Biografien über die Familien
Thomas Mann und Sigmund Freud. Aus der Überzeugung, dass es "genau
so spannend ist, die Geschichte einer einfachen, schlichten Frau
biografisch darzustellen wie die Großen", hat die Bonner
Schriftstellerin, Soziologin und Psychologin Marianne Krüll einen
weiteren Lebensweg nachgezeichnet. Bei ihrer Lesung (des) Montag-Clubs
... im Frauenmuseum stellte sie nun einige Auszüge jener Biografie
vor, die die Geschichte einer Frau beschreibt, die zwei Weltkriege
durchlebt hat. Eng verbunden ist diese Geschichte mit der Berlins. So
wird die Biografie auch ganz nebenbei zu einem Stück authentisch
erzählter deutscher Geschichte. Aber das scheint die Autorin nicht
an erster Stelle gereizt zu haben. In der Frauengestalt der
Protagonistin Käthe entdeckt die Feministin Marianne Krüll
ein Spiegelbild der "patriarchalischen Gesellschaft." Und Krüll
erzählt die ganz persönliche Geschichte einer Suche. Es ist
die Suche nach der Geschichte ihrer eigenen Mutter. "Käthe, meine
Mutter" - so der Titel der Biografie - stellt viel mehr als ein
Stück neugieriger Ahnenforschung dar. Die Suche nach dem "Ich" der
Mutter wird zur Suche nach dem eigenen "Ich"; die Biografie der Mutter
wird mehr und mehr zur Lebensbeichte der Tochter. Marianne Krüll
entdeckt: "Nur die Versöhnung mit unseren Müttern kann die
Basis geben für die Solidarität der Frauen."
"WDR 5" (Rundfunk) Mai 2001: "Erlebte Geschichten. Es war immer Sommer".
Ankündigung der Sendung von Ulla Lessmann:
Die Bonner Soziologin und Schriftstellerin Marianne Krüll
erzählt von ihrer Kindheit in einer Berliner Laubenkolonie.
"Tsingtau" - nach der ehemaligen chinesischen Kolonie des deutschen
Kaiserreichs - hieß die Laubenkolonie in Berlin Spandau, in der
Marianne Krüll 1936 geboren wurde und aufwuchs. Das Holzhaus ohne
fließend Wasser und mit Plumsklo war für die Tochter eines
Tischlers und einer technischen Zeichnerin das Paradies einer
unbeschwerten Kindheit schlechthin: Warmer Sand unter den
Füßen, reife Himbeeren ohne Ende, frische Möhren aus
der Erde: "Irgendwie war immer Sommer". Der Krieg war weit weg, und die
seit den zwanziger Jahren Jugend- und wanderbewegten Eltern wanderten
mit den Töchtern an der Ostsee und im Berliner Umland: Die Natur
als Abenteuer. Aber Marianne Krüll sollte auch die ungelebten
Bildungsträume ihrer Mutter nachholen, bekam programmatisch eine
akademisch gebildete Patin und wurde eine extrem gute Schülerin -
die von ihren Mitschülerinnen nicht besucht wurde, weil es in der
Laube kein Klosett gab. Von den Leistungsanforderungen der Mutter
konnte die fleißige Tochter sich Anfang der fünfziger Jahre
befreien, als sie mit zu den ersten in der Nazizeit aufgewachsenen
Jugendlichen gehörte, die zu einem "Re-Education" Programm in die
USA geladen wurden. Die Wanderfreude und Naturliebe aber hat sich die
spätere Akademische Rätin an der Universität Bonn und
Schriftstellerin ("Im Netz der Zauberer - Eine andere Geschichte der
Familie Mann") bis heute bewahrt.
Sammlung weiterer Besprechungen bei
http://www.christel-goettert-verlag.de/128-20---presse-info.htm
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