Druckausgabe
ca. 5 DinA-Seiten
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Leicht veränderte Fassung eines Beitrags in: EMMA Juli/August 2000. Die Frauen
im Schatten von Heinrich und Thomas Mann Wir kennen sie alle, haben einige ihrer Werke - wenn auch meist als aufgezwungene Schullektüre - gelesen: den bürgerlich-genialen Thomas Mann, Autor der "Buddenbrooks" und des "Tod in Venedig"; den kritisch-engagierten Heinrich Mann, den um vier Jahre älteren Bruder, der den "Untertan" und "Professor Unrat" schrieb und schließlich Klaus, den schillernden Sohn von Thomas Mann, dessen Roman "Mephisto" erst Jahre nach seinem Freitod veröffentlicht wurde. Aber wer kennt schon die Menschen - vor allem die Frauen -, die im Schatten dieser berühmten Männer lebten? Wer weiß, daß beide Schwestern von Heinrich und Thomas Mann sich selbst töteten, daß nicht nur Klaus, sondern auch Michael, der jüngste Sohn von Thomas Mann den Freitod wählte? Wer kennt das tragische Schicksal der Mutter Julia, die als siebenjährige Mutterwaise von ihrem Vater aus Brasilien ins kalte Lübeck verpflanzt wurde? Wer weiß, daß Katia Pringsheim, die "Prinzessin von München" und ergebene Ehefrau von Thomas Mann, die Enkelin der berühmten Feministin Hedwig Dohm war? Diese Menschen
in der Familie Mann aus dem Schatten ins Licht zu holen, war eines meiner
Anliegen, mit dem ich mich auf eine mehrjährige Spurensuche begab.
Nicht nur sämtliche Werke der drei Dichter, sowie ihre Tagebücher,
Briefe, Aufzeichnungen habe ich auf biographische Hinweise durchforstet,
sondern auch viel Material von unbekannten Familienmitgliedern zusammengetragen.
Das Ergebnis war mein 1991 erschienenes Buch "Im Netz der Zauberer
- Eine andere Geschichte der Familie Mann". Meine Geschichte ist
"anders" als die traditionellen Biographien, weil sie das
gesamte, mehrere Generationen umfassende Familiennetz in den Blick nimmt
- und weil sie aus der Sicht einer Frau geschrieben ist, die es wagt,
hinter die von Männern - in dieser Familie vor allem durch die
Werke der Dichter-Männer - aufgerichteten Fassaden zu schauen. Als ich das kleine Bändchen las, öffneten sich mir die Tore zu einem tieferen Verständnis für die vielen tragischen Ereignisse in dieser Familie, für die Zerrissenheit und Verlorenheit, die Julias Leben, aber auch das ihrer Kinder - der berühmten ebenso wie der im Schatten gebliebenen - geprägt hatten: Julias Vater war der Kaufmann Ludwig Bruhns, ein blonder Hühne aus Lübeck, der sich in seiner neuen Heimat Brasilien Luiz Germano nannte. Ihre Mutter Maria da Silva entstammte einer reichen, portugiesisch-stämmigen Plantagenbesitzer-Familie. Julia wuchs in einem Paradies heran. Das Haus in Paraty - zwischen Rio und Sao Paulo in einer traumhaften Bucht gelegen - existiert noch heute fast unverändert. In ihren Memoiren erinnerte sie sich daran, wie sie am Strand unter Palmen spielte, behütet von ihrer Neger-Amme, von der sie, das weiße, blondlockige Mädchen, vergöttert wurde. Julia hatte drei Brüder und eine Schwester, die wie die Mutter dunkelhaarig waren. Bei der Geburt des sechsten Kindes starb die Mutter Maria mit nur 28 Jahren, Julia war fünf. Ein Jahr nach dem Tod seiner Frau brachte Vater Ludwig seine Kinder nach Lübeck, sie sollten "Deutsche" werden. Julia wurde mit ihrer Schwester in einem Mädchen-Pensionat untergebracht, während er selbst mit der schwarzen Kinderfrau wieder nach Brasilien zurückkehrte. In ihren Memoiren schildert Julia eindrücklich, welch ein grauenhafter Schock es für die Siebenjährige war, im kalten Lübeck zurückgelassen worden zu sein. Sie sprach kein Wort Deutsch, die ältliche, bucklige Pensionsmutter - Thomas Mann verewigte sie in den "Buddenbrooks" als Sesemi Weichbrodt - versuchte lange vergeblich, das Vertrauen des Kindes zu erlangen. Julia hatte nicht nur den furchtbaren Verlust ihrer Mutter erlitten, sondern mußte nun auch noch den abrupten Wechsel in eine ihr völlig fremde Welt verkraften - zum Schaden ihrer kindlichen Seele, die - so scheint es - nie wieder heilte. Obwohl das Leben im Pensionat für sie auch vergnüglich war - Julia lernte Klavier spielen, liebte es, mit ihren Mitschülerinnen Theater zu spielen - sehnte sie sich danach, endlich der Pension zu entrinnen. Mit vierzehn Jahren war es so weit: Im Hause ihres Onkels wurden sie und ihre Schwester "in die Gesellschaft" eingeführt, es wurden Bälle veranstaltet, auf denen Julia in ihren hübschen Roben glänzte. Nun durfte sie sein, was ihr gebührte: eine Tochter aus angesehenem bürgerlichen Hause. Auf einem dieser Bälle lernte sie den Erben der traditionsreichen Lübecker Handelsfirma Thomas Johann Heinrich Mann kennen und wurde bald seine Frau. Sie heiratete also standesgemäß - doch, wie es scheint, nicht aus Liebe. Denn in ihren Memoiren schreibt sie über sich: "Ihr Schicksal war besiegelt." Sie war 17, er 29 Jahre alt. Als Kaufmannsgattin konnte sie nun aber endlich nachholen, was ihr das Leben bislang versagt hatte: Sie veranstaltete Hausbälle, die in Lübeck Stadtgespräch waren, auf denen sie sich den Hof machen ließ. Aus Heinrich Manns Kindheitserinnerungen kann man jedoch schließen, daß sie damit über die engen Grenzen dessen, was einer Lübecker Patrizier-Ehefrau gestattet war, hinausging. Heinrich, der 1871, eineinhalb Jahre nach der Hochzeit geboren wurde, hieß mit zweitem Namen "Luiz" - nach Julias Vater. Er scheint weitgehend der Obhut von Kinderfrauen überlassen worden zu sein, während Julia sich vergnügte. Heinrich war blond wie Vater und Großvater, während der vier Jahre später geborene Thomas - mit zweitem Namen nach einem von Julias Brüdern "Paul" genannt - dunkle Haare hatte. Thomas Paul wurde ihr Liebling, ihr "Herzensjunge". Den beiden Töchtern Lula (1877) und Carla (1881) folgte 1890, 19 Jahre nach dem Erstgeborenen, ihr jüngster Sohn Viktor. Und nur ein Jahr darauf starb ihr Mann, der Senator, mit nur 51 Jahren an den Folgen einer Blasenoperation. Kurz vor seinem Tod hatte er ein Testament verfaßt, in dem er seiner Frau und seinen Kindern geradezu drohende Ermahnungen auf den Weg gab:
Wie mögen Julia, wie die Kinder - Heinrich war 20, Thomas 16, Lula 14 und Carla 10 - diese letzten Worte des Senators aufgenommen haben? Mir scheint, daß dieses Testament für alle wie ein Fluch wirkte, vor allem, weil sie im weiteren Leben seinen letzten Worten zuwiderhandelten. Denn Julia zeigte sich nicht "fest", sondern stürzte sich - wer will es ihr nach ihrer entbehrungsreichen Vergangenheit verdenken! - als vierzigjährige Witwe in ein großes Abenteuer: Sie verließ Lübeck und zog mit ihren Kindern nach München, wo sie ein neues Leben als "lustige Witwe" begann - später bezeichnete Thomas Mann die Atmosphäre des Salons, den seine Mutter führte, als "leicht-lüsterne Bohème". Heinrich wurde entgegen dem Willen seines Vaters Schriftsteller und schrieb erotisch aufgeladene Novellen und Romane, deren Heldinnen seiner Mutter und seiner Schwester Carla nachgezeichnet waren und häufig am Ende Selbstmord verübten. Und zweifellos wäre der Senator entsetzt gewesen, daß Carla Schauspielerin wurde. Vermutlich versuchte sie, die unerfüllten Wünsche der Mutter auszuleben. Bei ihrem großen Bruder Heinrich, der sie bewunderte, fand sie Unterstützung. Doch Carla hatte keinen Erfolg. Durch eine Heirat wollte sie in die bürgerliche Gesellschaft zurückkehren. Als ihr Verlobter von ihren früheren Affären erfuhr und sie zur Rede stellte, nahm sie Gift. Sie war 28 Jahre alt. Heinrich war untröstlich. Dennoch schrieb er ein Theaterstück "Schauspielerin", in dem er die tragischen Verstrickungen seiner Schwester ungeschminkt auf die Bühne brachte - er saß mit seinem Bruder Thomas bei der Premiere im Parkett. Heinrich heiratete kurz darauf Mimi, eine Schauspielerin, und hatte mit ihr eine Tochter, ließ sich aber bald wieder scheiden, um mit Nelly, einer Berliner Bardame, zusammenzuleben. Beide Frauen starben vor ihm - Mimi an den Folgen ihrer KZ-Haft in Theresienstadt, Nelly durch Freitod im amerikanischen Exil. Mutter Julia lebte nach dem Tod der Tochter Carla noch dreizehn Jahre wie eine Gehetzte. Sie wechselte die Wohnungen in immer kürzeren Abständen, lebte zuletzt nur noch in Hotelzimmern und starb in einem Gasthof, umgeben von ihren drei Söhnen. Heimatlos, wie sie gelebt hatte, war auch ihr Tod. Ihre Tochter Lula nahm sich vier Jahre später das Leben. Sie war nach dem Tod ihres Mannes morphiumsüchtig geworden. Und auch ihr Schicksal wurde - diesmal vom Bruder Thomas - literarisch verwertet: In seinem "Faustus"-Roman gab Thomas Mann der Figur der Ines Institoris die Züge seiner unglücklichen Schwester. Der "kleine Vicco" blieb kinderlos, wurde nach dem Freitod Lulas der Vormund ihrer drei Töchter. Als er 1949 die Geschichte seiner Familie "Wir waren Fünf" beendet hatte, starb er an Herzversagen. Er wurde nur wenige Jahre älter als sein Vater, der Senator. Einzig Thomas lebte so, wie der Vater es in seinem Vermächtnis bestimmt hatte: Obwohl er keinen "praktischen Beruf" ergriff, hätte sein Werdegang zum großen deutschen Schriftsteller patrizischer Statur wie auch sein traditionelles Ehe- und Familienleben sicherlich das Wohlwollen des Senators gefunden. Doch mir scheint, als ob auch Thomas Mann von den Schatten der Vergangenheit eingeholt wurde. Seit der Veröffentlichung seiner Tagebücher wissen wir, daß er zeit seines seine homoerotischen Neigungen verbarg. Kurz bevor er heiratete, war er leidenschaftlich, jedoch unerwidert, in einen jungen Mann, Paul Ehrenberg, verliebt gewesen. Schon in der Lübecker Zeit hatte er seine Neigung entdeckt, es waren immer blonde, heterosexuelle Männer, die ihn anzogen. War sein blonder Bruder Heinrich Luiz, der schon als Sechzehnjähriger in Lübecker Bordellen verkehrte, das prägende Modell? Thomas Manns Heirat mit Katia Pringsheim im Jahre 1904 gab ihm, wie er einmal sagte, "eine Verfassung" - aber seine Sehnsucht nach dem männlichen Körper blieb bestehen. Katia Pringsheim stammte aus einer der reichsten Familien Münchens. Sie hatte vier ältere Brüder, einer war ihr Zwilling. In ihrem Elternhaus, das mit erlesensten Kunstgegenständen ausgestattet war, verkehrte alles, was in München Rang und Namen hatte. Ihr Vater war Mathematikprofessor und Wagner-Verehrer, die Mutter eine ehemalige Schauspielerin und Tochter Hedwig Dohms, der großen Frauenrechtlerin und scharfzüngigen Vordenkerin der Ersten Frauenbewegung. Als Thomas Mann um sie warb, war Katia gerade zwanzig und hatte ein Studium der Mathematik und Physik begonnen. Sie dachte überhaupt nicht ans Heiraten und machte sich mit ihren Brüdern über den hartnäckigen Bewerber lustig: Sie nannten ihn den "leberleidenden Rittmeister". Als Achtzigjährige sagte sie in einem Interview: "Ich wußte gar nicht, warum ich so schnell schon weg sollte!" Doch ihre Mutter, die selbst mit zwanzig von der Bühne weg geheiratet hatte, drängte sie, den vielversprechenden Dichter zu erhören. Katias Großmutter Hedwig Dohm allerdings war anderer Meinung. Bei ihrer ersten Begegnung mit Thomas Mann beschimpfte sie ihn als "Antifeministen", denn er hatte deutlich zu erkennen gegeben, daß er eine akademische Ausbildung von Frauen für unnötig hielt und Katia ganz für sich haben wollte. Und so kam es denn auch: Katia gab ihr Studium auf, heiratete Thomas Mann und bekam ein Kind nach dem anderen: Im Dezember 1905, neun Monate nach der Hochzeit, wurde Erika geboren, ein Jahr darauf Klaus, 1909 und 1910 Golo und Monika. Viel später sagte Katia einmal: "Ich habe in meinem Leben nie tun können, was ich hätte tun wollen." War ihr Gefühl, mit dieser Ehe eine falsche Entscheidung getroffen zu haben, vielleicht ein Grund für ihre TBC-Erkrankung kurz nach Monikas Geburt? Katia mußte sich mehrmals für viele Monate in Sanatorien in den Bergen aufhalten. Die Kinder, vor allem Erika und Klaus, litten sehr unter ihrer Abwesenheit. Es scheint, daß Klaus' Todessehnsucht hier begann und Erika sich bereits in jener Zeit aufgerufen fühlte, ihn zu beschützen. Katia wurde jedoch wieder gesund, mehr noch: Das Erlebnis, dem nahen Tod entronnen zu sein, scheint sie zu jener starken Frau gemacht zu haben, die von nun an die gesamte Last der Versorgung ihrer sechs Kinder - Elisabeth und Michael wurden 1918 und 1919 geboren - und ihres äußerst anspruchsvollen Gatten auf sich nahm. Sie machte es möglich, daß Thomas Mann auch in den schwierigen Zeiten der Emigration nach jedem Umzug sofort wieder an seinem Schreibtisch arbeiten konnte. Und wie ging es in der nächsten Generation weiter? Die vielen Konflikte, die Thomas und Katia aus ihren Herkunftsgeschichten unaufgearbeitet belassen und verdrängt hatten, gaben sie - so scheint es - an ihre Kinder weiter. Klaus war der Gefährdetste von allen. Denn wie wir heute in Thomas Manns Tagebüchern lesen können, richteten sich die unterdrückten homoerotischen Gefühle des Vaters auch auf ihn, den heranwachsenden Sohn. Ohne Frage erspürte Klaus das heimliche Begehren seines Vaters. Seine Reaktion war ein demonstratives, provozierendes Ausleben seiner eigenen Homosexualität, wofür er aber vom Vater mit Verachtung gestraft wurde. Klaus gelang es nie, in einer glücklichen Männerbeziehung zu leben. Nach einer exzessiven Phase in seinen zwanziger Jahren, als er mit der Schwester Erika, Gustaf Gründgens und Pamela Wedekind in seinen eigenen, skandalumwitterten Bühnenstücken auftrat, folgte - entscheidend mitbedingt durch die politisch erzwungene Emigration - der allmähliche Abstieg und die Drogen. Trotz seiner unermüdlichen schriftstellerischen Produktion schaffte er es nicht, vom Elternhaus unabhängig zu werden. 1945 kehrte er als Soldalt der US-Army nach München zurück und besichtigte sein Elternhaus in der Poschinger Straße, nun eine ausgebombte Ruine. Die SS hatte die Villa zu einem "Lebensborn" umfunktioniert, in dem blonde Arierkinder systematisch gezeugt und aufgezogen wurden. Im Mai 1949 nahm er sich das Leben. Erika, die der Vater als sein "Wotanskind" bezeichnete, war eine begabte Schauspielerin und gründete noch 1932 in München ein gegen die Nazis agitierendes politisches Kabarett "Die Pfeffermühle". In der amerikanischen Emigration engagierte sie sich als politische Journalistin und hielt Vorträge gegen Hitler-Deutschland. Sie stand Klaus am nächsten und hatte sich als Hüterin ihres Selbstmord-gefährdeten Bruders verstanden. Doch als Thomas Mann 1947 schwer erkrankte, wandte sie sich vom Bruder ab, um den Vater bei seiner Arbeit zu unterstützen. Als Klaus starb, fühlte sie sich schuldig an seinem Tod. - Ist es nicht, als ob Klaus und Erika - wahrscheinlich ihnen selbst weitgehend unbewußt - das Bruder-Schwester-Muster von Heinrich und Carla aus der Vorgeneration nachlebten, nur daß diesmal nicht die Schwester, sondern der Bruder Hand an sich legte? In den folgenden Jahren - die Familie war inzwischen aus den USA in die Schweiz zurückgekehrt - widmete sich Erika dem Nachlaß ihres Bruders, und nachdem Thomas Mann 1955 gestorben war, nahm sie auch die Arbeit der Durchsicht und Veröffentlichung seines Nachlasses auf sich. Schon vom Tode gezeichnet - sie starb 1969 an einem Gehirntumor - arbeitete sie noch im Krankenhaus weiter an der Herausgabe einer großen Sammlung der Briefe Thomas Manns. Erika liebte Frauen und Männer. Erst durch die Biographie von Irmela von der Lühe wurde öffentlich bekannt, daß Erika jahrzentelang eine verborgene, intime Freundschaft mit Bruno Walter, dem mit Thomas Mann etwa gleichaltrigen berühmten Dirigenten, verband. Erika war sehr verletzt, als er nach dem Tod seiner Frau nicht sie, sondern eine andere heiratete. Mutter Katia und der Bruder Klaus wußten von Erikas heimlicher Liebe. In einem Brief schrieb Katia an Klaus: "Ich glaube, im Grunde ist sie tief unbefriedigt von ihrer Existenz, die ja reich und angeregt, aber menschlich eben doch nicht das Richtige ist." Erika verbitterte und wurde hart. Vielleicht hing auch ihr früher Tod mit dieser Enttäuschung zusammen. Katia wurde 97 Jahre alt. Sie überlebte ihren Mann um 26 Jahre, mußte aber noch erfahren, daß auch ihr jüngster Sohn Michael in der Silvesternacht 1976/77 von eigener Hand gestorben war. Er hatte nach dem Tod seines Vaters seine Karriere als Musiker abgebrochen, um Germanistik zu studieren, wurde Professor in Berkeley und nahm den Auftrag an, die 1975 freigegebenen Tagebücher seines Vaters zu veröffentlichen. Als er die Bearbeitung abgeschlossen hatte, nahm er sich das Leben. Seine Schwester Monika starb 1992, sein Bruder Golo, der Historiker, 1994. Beide hatten ihr letztes Jahr in Leverkusen, im Haus von Golo Manns Schwiegertochter verbracht, der Frau seines verstorbenen Adoptivsohns Hans Beck-Mann, der einst sein Liebhaber gewesen war. Ingrid Beck-Mann wurde Erbin nicht nur des gesamten Besitzes ihres Adoptiv-Schwiegervaters, sondern durch testamentarische Verfügung auch des noch größeren Vermögens von Monika Mann. Sie verkaufte das Haus in Kilchberg am Zürichsee, das vierzig Jahre im Besitz der Familie gewesen und zuletzt von Golo Mann bewohnt worden war - einschließlich des gesamten Inventars -, ohne Rücksprache mit anderen Familienangehörigen. - Die Schatten aus der Vergangenheit reichen weit! Am besten scheint es Elisabeth, der einzig noch lebenden Tochter Thomas Manns gelungen zu sein, den düsteren Schatten zu entgehen. Sie heiratete in jungen Jahren einen Mann, der das Alter ihres Vaters hatte. Nach seinem Tod blieb sie mit ihren Töchtern allein und baute sich in Kanada eine beeindruckende wissenschaftliche Karriere auf. Weltbekannt wurde sie durch ihren Einsatz für die Erhaltung der Meere, sie war Mitbegründerin des Club of Rome und Leiterin zahlreicher internationaler Ozean-Institute. Sieht sie Verbindungen zu ihrem Vater? "Meine Arbeit ist ganz bestimmt beeinflußt von meinem Vater, dafür bin ich dankbar. Aber meine Karriere auf seinem Leben, auf seiner Arbeit, auf der Tatsache, daß ich seine Tochter bin, aufzubauen, dazu habe ich nie Lust gehabt, das war mir gegen die Natur", sagte die Ozeanologin in einer Fernsehsendung. Warum - so fragte ich mich beim Schreiben immer wieder - war es diesen geistig aufgeschlossenen und mit Menschen aus aller Welt befreundeten Menschen nicht möglich, sich aus den Verstrickungen des Familiennetzes zu befreien? Warum konnte Julia ihr überbordendes Temperament, ihre kreativen Fähigkeiten nicht besser einsetzen, als sich billigen Vergnügungen hinzugeben und ihre Söhne zu vergöttern? Warum mußten ihre Töchter - die eine in der traditionellen Rolle, die andere in der damals gefährlichen Rolle einer "freien" Frau - ein noch unglücklicheres Frauenleben führen als ihre Mutter? Warum schaffte es nicht einmal Katia, der geistig - durch die feministische Großmutter Hedwig Dohm - aber vor allem auch ökonomisch alle Türen für ein selbstbestimmtes Leben offenstanden, sich aus dem Käfig einer Ehe mit Thomas Mann zu befreien? Warum mußten in der einen Generation die Frauen am Leben scheitern, während die Söhne berühmt wurden - und in der nächsten Generation zwei Söhne zerbrechen, während die Töchter relativ frei blieben? Fragen über Fragen, doch die Antworten bleiben offen..
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