Druckausgabe
ca. 5 DinA-Seiten
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In:
"Zeitschrift für systemische Therapie" Jg. 4, 1986, S. 226-231.
Marianne Krüll
Es gibt wahrscheinlich auch heute noch keinen Frauenkongreß, kein Treffen von Feministinnen, auf dem - wenn es um das Problem der politischen Durchsetzung feministischer Forderungen geht - nicht die Frage gestellt wird, ob denn Frauen überhaupt Macht beanspruchen dürften, ob sie Macht anstreben sollten, ob Frauen in diesem Punkt den Männern nacheifen sollten, die sich doch durch Macht korrumpiert hätten und deren Machtmißbrauch gerade Frauen gegenüber nicht mit weiblicher Gegenmacht begegnet werden dürfte. Wenn diese Frage aufkommt, wird die Diskussion heiß. Der Absage an die Macht wird die Gegenmeinung entgegengehalten, daß Macht nicht per se schlecht sei, sondern daß nur diejenige Form der Macht abzulehnen sei, mit der Menschen unterdrückt werden. Macht sei etwas, das Frauen anstreben müßten, wenn sie mit ihren Forderungen an die Männer, an die patriarchalische Gesellschaft, ernstgenommen werden wollten und wenn sie sich selbst in diesen Forderungen ernst nähmen. Meist mündet die Diskussion dann in eine ausweglose Kontroverse, was Frau-Sein eigentlich heißt, ob es darum geht, in die Gesellschaft alternative Modelle für Mensch-Sein einzubringen, die den Lebenszusammenhang von Frauen widerspiegeln, wo Macht in der Tat nicht die zentrale Rolle spielt wie in den männlichen Lebensbereichen, oder ob es darum gehen soll, daß Frauen in den bestehenden Strukturen an Positionen kommen sollen, von denen aus überhaupt erst Änderungsmöglichkeiten gegeben sind, wozu sie unbedingt Macht brauchen. Wenn Frauen über die Machtfrage diskutieren, reden sie darüber, ob Macht erstrebenswert ist oder darüber, wie weibliches Streben nach Macht zu rechtfertigen ist. Unsere soziale Rolle schreibt uns keine Macht zu, wir sind rollenmäßig in der one-down-Position. Wenn wir Macht anstreben, richten wir uns gegen unsere sozial vorgeschriebene Rolle und sehen uns deshalb in einem Rechtfertigungszwang. Das "Thatcher-Syndrom" wird gegen die "Neue-Weiblichkeits-Ideologie" ausgespielt, und bestenfalls endet die Diskussion damit, daß sich alle darauf einigen, verschiedene Wege mit oder ohne Macht gegen zu dürfen, jede nach ihren persönlichen Vorlieben oder Fähigkeiten. Männer haben auch Probleme mit der Macht. Aber ihre soziale Rolle schreibt ihnen vor, daß sie Macht haben müssen, um ein "richtiger" Mann zu sein; wenn keine andere, dann wenigstens die Macht über die eigene Frau. Männer müssen sich rechtfertigen, wenn sie keine Macht haben, wenn ihnen die Frau "auf der Nase herumtanzt", wenn sie sich nicht durchsetzen können. Macht gehört zur sozialen Rolle des Mannes, für ihn geht es darum, sich Wege zu erschließen, um sie zu bekommen. Er muß sich vor sich selbst und vor der Gesellschaft verantworten, wenn er keine Macht anstrebt. Für beide Geschlechter kann Macht also ein Problem werden: Für die Frauen, wenn sie sie haben wollen, aber nicht haben dürfen, für die Männer, wenn sie sie nicht haben wollen, aber müssen. Sie ist auch zwischen den Geschlechtern ein Problem, weil Macht unter anderem als Beziehung zwischen Mann und Frau definiert wird. Für beide Geschlechter hat Macht große soziale Relevanz und wird meist als fraglos gegebene Realität betrachtet. Wenn man mit BATESON die Machtmetapher als solche in Frage stellt, also ihren Realitätsgehalt anzweifelt, trifft man meist auf völliges Unverständnis. Unter Feministinnen gibt es wohl kaum eine, die auf die Frage, ob sie ohne den Begriff der Macht auskommen könne, nicht mit einem spontanen und überzeugten NEIN antworten würde. Die ökonomischen, politischen, sozialen, psychischen und körperlichen Beziehungen zwischen den Geschlechtern in Patriarchat sind, so scheint es, nicht anders beschreibbar denn als solche der Macht von Männern über Frauen.
Um die hier nur angedeutete Benachteiligung, Unterdrückung, Vergewaltigung von Frauen beschreiben und anprangern zu können, muß man die Machtmetapher verwenden, sagen Feministinnen, und ich stimme ihnen vollen Herzens zu. Denn auch alle anderen Formen von Unterdrückung rassischer, ethnischer und anderer Gruppen können nicht ohne Verwendung der Machtmetapher beschrieben und angeprangert werden. Wenn ich mit meiner Beschreibung von sozialen Gegebenheiten das Ziel habe, Mißstände zu kritisieren, um als weiteres Ziel die Beseitigung dieser von mir erkannten Mißstände zu erreichen, dann muß ich auf die Verantwortlichen, die Entscheidungsträger zeigen und sie als Machthaber entlarven, da meist gesellschaftliche Mystifizierungsprozesse die Machtstrukturen vernebelt haben. Im Zusammenhang mit den Geschlechtsrollen ist das zum Beispiel der Mythos von der unterschiedlichen "Natur" von Mann und Frau. In der Frauenfrage, meine ich, ist es unbedingt nötig, immer weiter aufzudecken, bewußt zu machen und anzuprangern, was Frauen im Patriarchat angetan und zugemutet wird. Es gibt noch viel zu viele Frauen, die gar nichts von ihrer Unterdrückung wissen und es gibt gerade in jüngster Zeit wieder immer mehr Männer (und leider auch Frauen!), die die Zeit zurückschrauben wollen, am liebsten bis ins 19. Jahrhundert zurück. Wir müssen von Macht und Unterdrückung reden und schreiben, solange wir meinen, daß Frauen im Patriarchat Unrecht geschieht. Aber wenn wir nicht nur anprangern, kritisieren, aufschreien wollen, sondern als Frauen, und sogar als Feministinnen, noch andere Ziele haben, z.B. in unseren eigenen Beziehungen mit Männern, also dem eigenen Partner, Kollegen, Freund; am Arbeitsplatz, im privaten Kreis oder in sonstigen sozialen Gruppen besser auskommen wollen, dann ist die Machtmetapher lästig, wenn sie nicht gar das Erreichen dieser Ziele unmöglich macht. Ich kann die Beziehung meines Ehepartners zu mir als ein Machtverhältnis definieren und gegen ihn kämpfen und ihm die Unterdrückung meiner Person anlasten. Wenn ich aber ehrlich bin, ist meine Unterdrückung oder meine mangelnde Selbstverwirklichung etwas, das ich selbst mache oder bei dem ich zum mindesten seine repressiven Aktivitäten zulasse. Es gibt immer Alternativen zum Ertragen und Aushalten der Unterdrückung: Scheidung, Trennung, oft würde viel weniger notwendig sein: eine Aussprache, auch z.B. die Solidarisierung mit anderen Frauen und vieles mehr. Die Definition der Beziehung zu meinem Partner als Macht-Ohnmacht-Beziehung hindert mich daran, meine Ressourcen zu entwickeln. Ich selbst baue mir mit dieser Definition einen Käfig, aus dem es keinen Ausweg gibt. Ich gebe zu, daß das auch irgendwie ganz bequem und angenehm sein kann. Ich trage dann nämlich für das, was ich erlebe, scheinbar keine Verantwortung mehr. Er ist der Schuldige, der Tyrann, der typische Patriarch, ich die arme, leidende, unterdrückte Frau! Wenn ich aber mehr oder anderes als das Anklagen erreichen will, sollte ich auf die Machtmetapher verzichten. Sie aufzugeben, kann auch dazu führen, daß ich mich in meinen Partner oder in andere Männer, mit denen ich zu tun habe, besser hineinversetze, um zu verstehen, wie der Betreffende zu dem Mann geworden ist, der er ist. Wenn ich mir vorstellen kann, wie er seine eigene Mutter erlebte, die in der frühen Zeit alle Macht über ihn als kleinen Jungen hatte und ihn möglcherweise für ihre eigenen Bedürfnisse mißbrauchte, kann ich im Gespräch mit ihm einen großen Schritt weiter kommen, der auch mir mehr Freiraum gibt. Feministinnen warnen allerdings vor diesem Weg, der uns Frauen allzu leicht wieder zur Falle wird. Das "Alles-Verstehen-Alles-Verzeihen"-Motiv führt sehr schnell dazu, daß wir mit dem "armen" Mann Mitleid kriegen und damit erpreßbar werden, in der herkömmlichen Rolle zu verbleiben. Dennoch bleibt diese Haltung eine Möglichkeit des konstruktiven Umgangs zwischen Frau und Mann unter patriarchalischen Verhältnissen. Es ließen sich noch viele andere Beispiele aufzeigen, wie Frauen trotz aller Kritik am Sexismus im Patriarchat ein Interesse daran haben können, mit Männern auszukommen und tiefe, befriedigende Beziehungen zu ihnen aufrechtzuerhalten. Immer ist dann die Machtmetapher ein Hindernis. Zwar wird sich die gesellschaftliche, auf Macht-Ohnmacht begründete Geschlechterbeziehung auch in jeder noch so progressiven Partnerbeziehung zwischen Mann und Frau widerspiegeln, die Kritik am Patriarchat hört also auch hier nicht auf. Dennoch kann es nicht das Interesse einer Frau sein, die von ihr gewollten Männer-Beziehugen nur unter dem einen Aspekt zu sehen und zu leben. Das schließt jedoch nicht aus, daß dieselbe Frau die Machtmetapher verwendet, um in einem politischen, öffentlichen oder auch privaten Diskussionszusammenhang auf die Unterdrückung der Frau, auf die Macht der Männer im Patriarchat hinzuweisen. Denn solange es sexuellen Mißbrauch, Vergewaltigung, solange es Unterdrückung der Frau in unserer Gesellschaft gibt, muß es Frauen - und Männer! - geben, die unter Verwendung der Machtmetapher diesen Mißbrauch aufzeigen und bekämpfen. Wenn ich Humberto MATURANA folge, der davon spricht, daß alles, was gesagt wird, in Sprache gesagt wird und daß deshalb "Objektivität" nicht unabhängig von der jeweiligen Perspektive, dem jeweiligen sprachlichen Rahmen eines Beobachters existiert, und daß es deshalb kein "Universum" gibt, sondern "Multiversa", die sich in mancher Weise überschneiden, aber auch von Person zu Person und selbst innerhalb einer Person sehr verschieden sind, dann beanspruche ich, die Machtmetapher so zu verwenden, wie es meinem Universum, bzw. meinen Multiversa entspricht. In der Welt, die sich mir als eine sexistische darstellt, in der Frauen von Männern unterdrückt und vergewaltigt werden, will ich die Machtmetapher verwenden. Es gibt für mich aber auch noch andere Welten, in denen mir diese Metapher im Weg ist, und da verwende ich sie nicht. Ich wehre mich gegen Männer - auch wenn mir ihre Ideen und Arbeiten ansonsten noch so gut gefallen -, die mir vorschreiben wollen, daß ich die Machtmetapher nicht verwenden darf, weil "es Macht nicht gibt" (Bradford KEENEY in dem Interview mit Jürgen HARGENS Z.system.Ther. 1985/1 S. 110ff). KEENEY verläßt mit dieser Behauptung seine eigene Grundprämisse des konstruktivistischen Denkens. Denn er macht damit eine Aussage über eine "objektive" Realität, die es doch aber in seinem eigenen Denken nicht geben kann, da sie nur in Sprache existiert. Ich wehre mich aber auch gegen Frauen - deren feministische Anliegen ich ansonsten voll und ganz teile -, die mir einreden wollen, daß es Macht doch aber "wirklich" gäbe, ich selbst als Frau unter der Macht, die Männer über mich haben, leide (so Laurie MACKINNON, Dusty MILLER: "The Socio-Political Implications of the New Epistemology", Vortrag auf der A.A.M.F.T. Annual Conference, San Francisco 1984). Die Wirklichkeit der Macht, die Männer über mich haben, also auch die Wirklichkeit meines Leidens unter dem Patriarchat, bestimme ich durch meine Konstruktionen von Wirklichkeit. Ich habe viele Möglichkeiten, mich dem Leiden unter der Männer-Macht zu entziehen, diese patriarchalische "Wirklichkeit" also für mich umzudeuten, anders zu definieren und in meinen eigenen Beziehungen zu Männern nicht zum Tragen kommen zu lassen. Wenn ich den Konstruktivismus VON FOERSTERs, die biologische Epistemologie MATURANAs oder die systemische Theorie BATESONs ohne Einschränkungen konsequent anwende, dann verweist jeder Begriff, jede Aussage, jede Kontextbeschreibung, die ich verwende, rekursiv auf mich zurück. Meine Konstruktionen von Realität schaffen mir die Welt, in der ich mich verwirkliche, meine Ziele finde, mein Handeln strukturiere. Und ebenso gilt, daß es meine politischen, gesellschaftlichen, persönlich-biographischen usw. Ziele sind, die bestimmen, wie ich meine Realität konstruiere. Wenn ich das Ziel habe, gesellschaftliche Veränderungen politisch durchzustzen, dann ist es notwendig, mit Gleichgesinnten eine gemeinsame Sprache zu finden, mit der wir die Welt so konstruieren, daß wir mit unseren Interessen vorwärts kommen. Und wenn die Machtmetapher dazu taugt, dann werden wir sie verwenden! Da ich aber in meinem Leben nicht nur ein einziges Ziel habe (manche Menschen konstruieren sich ihre Welt und ihr Selbstbild allerdings so, daß sie glauben, sie hätten nur eines!), werde ich mir für andere Ziele ein anderes Bild von Welt konstruieren und dafür andere sprachliche Metaphern verwenden. Unter Umständen kann es dann auch sein, daß ich die Machtmetapher beiseite lasse. Die konstruktivistische, systemische Epistemologie will ich für mich verwenden, um meine eigenen Konstruktionen von Realität zu erkennen, um mich aus der Reifizierung von Begriffen, die ich verwende, zu lösen. Aber ich will mir auch mit ihrer Hilfe neue Kontexte, neue Welten schaffen. Ich will frei sein zu entscheiden, ob ich mich in ein Sprachsystem einfüge, es verändere, es durch ein anderes ersetze, es zu meinen bisherigen hinzufüge usw. Der Konstruktivismus soll für mich nicht wieder ein Korsett werden, das mich zwingt, den Machtbegriff nicht mehr zu verwenden. Wenn ich will, werde ich ihn benutzen! Selbstverständlich wäre die Situation völlig anders, wenn wir in einer Gesellschaft lebten, in der der Konstruktivismus das allgemeine Menschen- und Weltbild wäre, wenn jeder die Toleranz hätte, die "Multiversa" der anderen Menschen anzuerkennen und gelten zu lassen (dann wäre im übrigen auch "Macht" kein Thema mehr!). So lange wir aber als Frauen im Patriarchat, als Andersdenkende in einer ideologisch festgefügten Gesellschaft, solange Menschen als Minderheit in einer ethnozentrischen Majorität usw. eine solche Toleranz nicht erwarten können, wäre der Verzicht auf die Machtmetapher zur Beschreibung der sozialen Gegebenheiten mit Selbstaufgabe gleichzusetzen. Der Konstruktivismus, das systemische Denken, hilft mir, das, was wir als "Macht" bezeichnen, nicht zu verdinglichen und immer die Definitionen von "Macht", die hinter der "realen Macht" stehen, wahrzunehmen. Das gibt mir die Freiheit, nach Alternativen für eine spezifische Definition von Macht zu suchen, wodurch oft erstaunlich schnell Veränderungen der "realen" Machtverhältnisse bewirkt werden. Der Slogan "die Macht der Ohnmacht" ist beispielsweise eine solche alternative Definition, die nicht nur im therapeutischen Bereich, sondern auch in einer politischen Auseinandersetzung neue Wege erschließt. Andererseits kann jedoch auch der alte Machtbegriff Tore öffnen, eben wenn es zum Beispiel darum geht, Frauen ihre Unterdrückung im Patriarchat überhaupt erst einmal bewußt zu machen. Und auch das Bewußtsein beispielsweise von der "Macht der Machthaber über die Sprache" oder von der "Macht des Konstruktivismus über die Macht der Machtmetapher und die Macht der Machthaber über die Sprache" usw. kann sich nur dann entwickeln, wenn wir nicht auf den Machtbegriff von vornherein verzichten. Wir sollten uns die Freiheit bewahren, den Machtbegriff manchmal als Werkzeug, manchmal als Spielzeug, manchmal als Stütze und manchmal als Waffe flexibel einzusetzen und auch, wenn es in irgendeinem Kontext angebracht erscheint, ihn gänzlich fallenzulassen. Manchmal kommt mir eine ganz heiße Idee, daß nämlich die Männer, die den Konstruktivismus und das systemische Denken entwickelt haben, verkappte "Maskulinisten" sind, also Männer, die unter ihrer Geschlechtsrolle leiden, weil sie die Macht, die sie rollenmäßig ausüben müssen, als Last empfinden und deshalb darauf gekommen sind, sie als Metapher zu bezeichnen. Da allerdings keiner von ihnen bisher auch nur andeutungsweise auf die Rekursivität zwischen seiner eigenen Geschlechtsrolle und seinem Denken eingegangen ist, wie das bei Feministinnen allgemein üblich ist, ist meine Vermutung wohl doch nur Wunschdenken. Ich kann nur davon träumen, daß endlich einmal in der jahrhunderte- oder jahrtausendealten Geschichte der Erkenntnisphilosophie die Dimension der Geschlechtszugehörigkeit ihres/r Autors/Autorin innerhalb einer Theorie nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern mit reflektiert würde. Die Rekursivität und Reflexivität des systemischen Ansatzes bieten dazu optimale Möglichkeiten. Ach wär' das schön! Literatur: Bateson, Gregory (1979): Mind and Nature. A Necessary Unity. Toronto, New York, London
(Bantam). (deutsch 1987: Geist und Natur. Frankfurt. Suhrkamp) |
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