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Vortrag gehalten im Heinrich Meng Institut, Brühl, im Oktober 1995. Veröffentlicht in: Lebendige Psychohygiene. Hrsg.: Helmut Kretz. München 1996.
Marianne Krüll Meist wird die Bedeutung der Mütter großer Männer im Spiegel ihres Werkes nur angedeutet: Man weiß von Freuds Mutter Amalie, daß sie ihren "goldenen Sigi" bis in ihr hohes Alter vergöttert hat. Man hat Thomas Manns Kindheitserinnerung vor Augen wie er, im Fauteuil hockend, dem Gesang seiner Mutter lauscht, die, sich selbst am Klavier begleitend, Lieder von Schumann singt. Es ist erstaunlich, daß in den meisten Biographien großer Männer ihre frühe Kindheit nicht weiter beachtet wird. Die Person der Mutter in ihrer Beziehung zu dem später berühmten Sohn wird nur sehr oberflächlich betrachtet. Wichtiger erscheinen in Biographien die geistigen, kulturellen Einflüsse, denen der Betreffende in späteren Jahren als Jugendlicher und Erwachsener ausgesetzt war. Doch wenn wir bedenken, wie tief jeder Mensch von der eigenen Mutter geprägt wurde, wie wichtig die frühesten nachgeburtlichen, oder sogar vorgeburtlichen Erlebnisse für jeden von uns waren und welche fundamentale Bedeutung unsere Geburt für unser ganzes Leben hatte (1), sollten wir auch bei den Großen ein wenig genauer hinschauen, welche Beziehung sie zu ihrer Mutter hatten und welche Beziehung die Mutter zu ihnen hatte. In meinen Büchern über Sigmund Freud und Thomas Mann ging es mir - unter anderem - um diese Frage. Ich habe herauszufinden versucht, wer Amalie Nathansohn und Julia da Silva Bruhns als Personen waren. Wie war ihr Leben? Was hatten sie für eine Kindheit und Jugend? Wie war ihre Ehe? Wie haben sie die Schwangerschaft mit dem später so berühmt gewordenen Sohn erlebt? Wie war das Mutter-Sein für sie? Indem ich mich in diese Frauen und in das sie umgebende Netz von Beziehungen hineinversetzte, entdeckte ich aufregende Bezüge zum Werk ihrer Söhne. Ich möchte Ihnen heute von meinen Entdeckungen erzählen. Sigmunds Mutter Amalie und das Beziehungsnetz in seiner frühen Kindheit Freud war der "erstgeborene Sohn einer jugendlichen Mutter", wie er selbst von sich sagte (2). Im Juli 1855 heiratete die 19jährige Amalie Nathansohn den 40jährigen Jakob Freud. Ein Jahr darauf, am 6. Mai 1856, wurde Sigmund geboren. Aus Amalies Kindheit und Jugend gibt es keine Zeugnisse von ihrer Hand. Auch über ihre Eltern und Geschwister haben wir nur minimale Informationen (3). Ihr Vater Jacob Nathansohn war ungefähr gleichaltrig mit ihrem Ehemann. Die beiden Männer hatten sich wahrscheinlich als Geschäftsleute kennengelernt, denn sie waren beide Händler. Amalie ist in Brody, in Galizien (heutige Ukraine, damals Österreich) geboren, was nicht weit entfernt ist von Jakob Freuds Geburtsstadt Tysmenitz. Sie hatte drei ältere Brüder, die bei ihrer Hochzeit wahrscheinlich schon verheiratet waren und als Geschäftsleute in Odessa und Wien lebten. Ein jüngerer Bruder Julius starb drei Jahre nach ihrer Eheschließung an TBC in Wien. Ich werde auf dieses tragische Ereignis gleich noch zurückkommen. Auch Amalie war übrigens in ihren frühen Ehejahren lungenkrank, weshalb sie häufig zur Kur fuhr. Die Nathansohns lebten schon länger in Wien, wahrscheinlich hat Amalie ihre Jugend bereits in der Großstadt verbracht. Jakob Freud dagegen war noch bis Anfang der 50er Jahre in Tysmenitz ansässig und reiste mit seinem Vater und Schwiegervater als Händler in die westlichen Teile der österreichischen Monarchie, nach Mähren und in die Hauptstadt Wien. In Tysmenitz war er verheiratet gewesen - wir wissen nicht, ob er von seiner ersten Frau geschieden wurde oder ob sie starb (4). Jakob hatte mit seiner ersten Frau zwei Söhne, die - als er Amalie heiratete - bereits erwachsen waren. Emanuel, der ältere, war sogar schon verheiratet und hatte einen Sohn (Sigmund ist also als Onkel geboren!). Jakobs jüngerer Sohn, Philipp, war gleichaltrig mit Amalie. Wie kam diese Ehe zwischen der 19jährigen "Jungfrau", wie es im Trauungszeugnis heißt, mit einem 40jährigen Großvater zustande? Wir können darüber nur spekulieren. Es war vermutlich keine Liebesheirat. Doch welche Vernunftgründe sprachen dafür? Jakob war kein reicher Mann, wie wir aus Dokumenten wissen. Hatte er vielleicht seinen Schwiegereltern Reichtum vorgetäuscht? Man kann vermuten, daß Amalie nicht glücklich war, aus dem Kreis ihrer Familie in Wien in das kleine Städtchen Freiberg zu ziehen. Wir wissen aus Archivmaterial, daß sie sich schon kurz nach Sigmunds Geburt mit dem Säugling in einem Kurort in den Karpaten (etwa auf halber Strecke zwischen Freiberg und Wien) aufhielt, wo sie Verwandte traf. Die Kinderfrau, die Sigmund auch später betreute, war mit dabei. Kann man dies als Zeichen nehmen, daß Amalie wegen ihrer Lungenkrankheit mit ihrer frühen Mutterschaft überfordert war? Aus Sigmund Freuds Erinnerungen an seine früheste Kindheit kann man den Eindruck gewinnen, daß die Kinderfrau für ihn eine wichtigere Person war als die Mutter, zum mindesten was die Pflege und Versorgung betrifft. Auch von ihr wird gleich noch die Rede sein. Für Jakob war diese Ehe ganz ohne Frage ein Neubeginn in seinem Leben. Er hatte sich nunmehr gänzlich aus der Enge des ostgalizischen Ghetto-Lebens befreit. Er lebte mit seinen beiden Söhnen seit etwa 1851 in Freiberg, d.h. er hatte die Gelegenheit der freien Ortswahl sofort ergriffen, die sich den Juden nach der Revolution von 1848 bot. Bis dahin bekamen Juden nur befristete Aufenthaltserlaubnis in den österreichischen Kernländern, er mußte alljährlich Anträge stellen, die uns aus dem Freiberger Archiv überliefert sind. Obwohl Jakob in seinem Heimatort Tysmenitz wahrscheinlich noch in orthodox-jüdischer Tradition aufwuchs und seine erste Ehe führte, war er nunmehr zu einem Assimilations-Juden geworden. Die Ehe mit Amalie wurde vor einem Wiener Reform-Rabbiner geschlossen, was darauf hinweist, daß auch die Nathansohns eine aufgeklärt-jüdische Familie waren. Jakob besaß ein Exemplar der Philippsonschen Bibel, die neben dem hebräischen Text eine deutsche Übersetzung umfaßt und illustriert ist - für orthodoxe Juden ein undenkbares Sakrileg. In diese Bibel trug er auch in feierlichen Worten die Geburt seines Sohnes Sigmund ein. Dieser Neubeginn in Jakobs Leben war jedoch überschattet von dem Tod seines Vaters Schlomo im fernen Tysmenitz wenige Wochen vor der Geburt Sigmunds. Auch dieses Ereignis ist auf dem Gedenkblatt der Bibel vermerkt. Jakob war nicht bei dem Begräbnis, um Kaddisch, das Totengebet, zu sprechen. Man kann vermuten, daß er deshalb Schuldgefühle hatte, die traditionelle Pflicht eines Sohnes nicht erfüllt zu haben. Er gab seinem neugeborenen Sohn Sigmund den jüdischen Namen Schlomo -, so als wollte er ihn damit beauftragen, die Schuld gegenüber dem Vater mit ihm zu tragen, was Sigmund - so meine ich - bis an sein Lebensende getreulich tat (5). Doch auch Amalie hatte in dieser Zeit einen schweren Verlust zu beklagen. Eineinhalb Jahre nach Sigmund, im Oktober 1857, wurde ihr zweites Kind Julius geboren. Ihr jüngerer Bruder Julius, nach dem das Kind wahrscheinlich genannt wurde, muß schon an TBC erkrankt gewesen sein. Er starb im März 1858 in Wien. Und auf den Tag einen Monat später starb auch ihr Sohn Julius in Freiberg. Sigmund war knapp zwei Jahre alt. Ich vermute, daß er, wenn auch nicht bewußt, den Schmerz der Mutter spürte, vielleicht auch erfaßte, daß er nun wieder ihr Einziger war. Amalie wurde allerdings sofort wieder schwanger. Die Tochter Anna, Sigmunds Schwester (nicht zu verwechseln mit seiner eigenen Tochter Anna), ist bereits im Dezember desselben Jahres geboren. Sigmund wurde von einer Kinderfrau versorgt, die in seinen Träumen als Erwachsener später immer wieder auftaucht. Sie war eine ältere Frau, Tschechin und katholisch. Auch dies ist ein Zeichen dafür, daß Jakob und Amalie aufgeklärte Assimilationsjuden waren. Diese Kinderfrau wurde eine wichtige Person für den kleinen Sigmund. Sie nahm ihn mit in die Kirche, wo ihn die Kerzen und die Heiligenbilder beeindruckten. Sie war auch, wie er schreibt, seine "Lehrerin in sexuellen Dingen".(6) Vermutlich hat sie ihn beim Waschen oder bei anderen Gelegenheiten durch Berührungen erotisiert, gleichzeitig aber bestraft und mit Kastration bedroht, wenn er sich selbst berührte. Diese Kinderfrau wurde beim Diebstahl ertappt und aus dem Haus geworfen. Der kleine Sigmund verlor eine wichtige Bezugsperson, seine Zweitmutter, ein schwerer Schock, wie er später erinnert. In Freiberg gab es aber noch andere Ereignisse, die auf ihn einen tiefen Eindruck hinterließen. Die Kinder seines Halbbruders Emanuel, John und Pauline, waren seine Spielgefährten. In der "Deckerinnerung" schildert er, wie der um ein Jahr ältere John ihn zu verbotenen Spiele mit Pauline anstiftete. Offenbar waren die beiden Jungen daran interessiert herauszufinden, worin der "kleine Unterschied" zwischen Jungen und Mädchen besteht. Angeregt waren sie zu ihren Untersuchungen auch dadurch, daß ihre beiden Mütter Kinder geboren hatten. Es war also wohl auch Neugier zu erfahren, woher diese Babies kamen, was sie zu ihren Untersuchungen an Pauline veranlaßte. Seltsamerweise hatte aber der kleine Sigmund - wie aus Freuds späteren Traumassoziationen hervorgeht - den Verdacht, sein großer Bruder Philipp habe "irgendwie das kürzlich geborene Kind in den Mutterleib hineinpraktiziert". (7) Es ist anzunehmen, daß das Kind Sigmund hier nicht nur seine lebhafte Phantasie spielen ließ, sondern daß das Verhalten seiner Mutter gegenüber Philipp ihm dazu konkreten Anlaß gab. Diese Freiberger Welt mit ihren irritierenden, verwirrenden Ereignissen war für das Kind Sigmund plötzlich verschwunden. 1859 verließ Jakob Freiberg und zog mit Amalie und den Kindern Sigmund und Anna nach Wien. Sigmunds Halbbrüder gingen nach England. Man weiß nicht genau, was Jakob zu diesem abrupten Aufbruch veranlaßte. Es gab viele Gründe, einer davon war vielleicht die unerlaubte Beziehung zwischen Amalie und Philipp. Für Sigmund war der Verlust seiner Freiberger Welt ein äußerst traumatisches Ereignis. Personen, die ihm bedeutsam gewesen waren, waren plötzlich verschwunden. In Wien war Jakob nicht mehr erfolgreich, Amalies Eltern mußten die schnell wachsende Familie unterstützen. Sigmund erlebte also, wie sein patriarchaler Über-Vater zu einem Bittsteller wurde, wie seine Mutter im Kreise ihrer Familie an Status gewann. Es ist hochinteressant zu verfolgen, wie sich die Themen aus Freuds Freiberger Kindheit in seiner "Latenzphase" in Wien in vielerlei Formen fortsetzten. So scheint ihn die Frage nach den vielen Kindern, die Amalie gebar (nach Anna kamen in Wien noch vier Schwestern und ein Bruder zur Welt), weiterhin beschäftigt zu haben, wie aus Erinnerungen an Spiele mit der Schwester Anna deutlich wird (Assoziationen zum Traum von der "Botanischen Monographie"). (8) Vor allem aber war dies eine Phase, in der Freud seine verwirrenden Kindheitserlebnisse verdrängte und zu einem fleißigen und musterhaften Schüler, zunächst seiner Eltern, dann in der Schule wurde. Mit 16 Jahren kehrte er zum erstenmal in seine Geburtsstadt Freiberg zurück und verliebte sich in Gisela Fluß, die Tochter einer dort ansässig gebliebenen jüdischen Familie. Er offenbarte jedoch dem Mädchen seine Gefühle nicht, sondern berichtete darüber seinem Freund Eduard Silberstein. Die Silberstein-Briefe sind inzwischen veröffentlicht und geben sehr interessante Einblicke in Freuds damalige Gefühle. Die Begegnung mit Gisela war eindeutig eine Wiederkehr der verdrängten Freiberger Kindheit. In der "Deckerinnerung" schreibt er:
Er scheint bei diesen einsamen Wanderungen von sexuellen Phantasien verfolgt gewesen zu sein:
Und an anderer Stelle sagt er über pubertäre sexuelle Phantasien:
Es scheinen also im Zusammenhang mit dieser Rückkehr nach Freiberg und seiner ersten Verliebtheit jene Bilder wieder in ihm aufgetaucht zu sein, die ihn als Kind bedrängt hatten und die mit seiner Mutter zu tun hatten. Überspringen wir viele Jahre: In Freuds 40. Lebensjahr starb sein Vater Jakob Freud. Es war die Zeit, als er, der selbst unter vielen neurotischen Symptomen litt, seine Theorie der Neurosen entwickelte. Noch einmal wurde seine Kindheit in ihm wach. Doch nun gelang es ihm nach enormem Ringen, das Verdrängte in seine bahnbrechende Theorie der kindlichen Sexualität als Ursache der Neurosen einzubringen. Es würde zu weit führen, diesen gewaltigen kreativen Prozeß, der zur Formulierung der Psychoanalyse und der Ödipustheorie führte und der in seinen Briefen an Wilhelm Fließ dokumentiert ist, hier darzustellen. (Leider ist es in der kurzen Zeit auch nicht möglich, seine zwischenmenschlichen Beziehungen im Erwachsenenalter, insbesondere zu seiner Frau und seinen Kindern, aber auch zu seinen SchülerInnen und PatientInnen mit den Freiberger Kindheitserlebnissen und seiner Mutterbeziehung in Verbindung zu setzen. Es scheinen überall Parallelen auf. (12)) Festzuhalten ist jedoch, daß die Ödipustheorie, die er in dieser vielleicht aufwühlendsten Phase seines Lebens entwickelte, auf Bildern basiert, die in seiner Herkunftsfamilie eine Realität waren. Die "Urhorde", die er als Ursprung des universellen Ödipuskonflikts beim männlichen Kind ansah, gab es in Freiberg wirklich: Da war der alte Vater und die junge Mutter, die in dieser Ehe nicht glücklich war. Sigmund beobachtete, daß es da passendere "Väter" gab, nämlich seine erwachsenen Halbbrüder, von denen einer, Emanuel, in einer "richtigen" Ehe mit einer gleichaltrigen Frau verheiratet war, während der andere, Philipp, unverheiratet war und sich offensichtlich für die mit ihm gleichaltrigen Mutter Amalie interessierte. Sigmund, der Dreijährige, fantasierte sich in die Gestalt eines Liebhabers der Mutter, den er als realen Mann vor Augen hatte. Ich frage mich, ob er ohne dieses Vorbild ödipale Wünsche auf Mutter und Vater hätte richten können. Wäre er, wenn er in einer anderen Familienkonstellation aufgewachsen wäre, zur Entdeckung des Ödipuskonflikts gekommen? Ich möchte auch noch einmal ausdrücklich betonen, daß Freud zwar die Ödipustheorie als universell bezeichnete, daß sie sich jedoch ausschließlich auf die männliche kindliche Sexualität bezieht. Freud blieb sozusagen fixiert auf die Fragen, die kleine Jungen beschäftigen. Wie kleine Mädchen ihre Sexualentwicklung erleben, war ihm kein Thema. Die weibliche Sexualität blieb ihm bis in sein hohes Alter, wie er selbst sagte, ein "dunkler Kontinent". Ich habe in meinem Buch darzustellen versucht, wie Freud mit der "Verführungstheorie", die er etwa zwischen 1894 und 1897 vertrat, einem Verständnis neurotischer und psychotischer Störungen bei Frauen (übrigens auch bei sich selbst!) noch sehr viel näher war. Er gab diese Theorie nach einem dramatischen inneren Kampf zugunsten der Ödipustheorie auf, mit der die traumatischen Erlebnisse in der Kindheit nicht mehr als real, sondern auch als Phantasie des Kindes angesehen werden können. (13) Mit der psychoanalytischen Ödipustheorie hat Freud ein Modell für eine in patriarchalen, Männer-dominierten Gesellschaften sehr häufig auftretende Familienkonstellation entwickelt. Knaben wollen ihre Mutter, die in ihrer Ehe unglücklich ist, glücklich machen, wollen sie lieben und den Vater beseitigen. Doch ist diese Situation eben nur dann gegeben, wenn eine unglückliche Frau und Mutter keinen anderen Ausweg hat, als ihre Hoffnungen und Wünsche auf ihren Sohn zu lenken. Freud hat dies selbst so gesehen, als er schrieb:
Daß er die Beziehung zwischen Mutter und Sohn als "ambivalenzfrei" bezeichnet, ist seltsam. Denn seine eigene Beziehung zu seiner Mutter war keineswegs frei von Spannungen. In späteren Jahren hatte er regelmäßig Magenverstimmungen, wenn er sie sonntags besuchte. Und auch Amalies Beziehung zu ihm können wir schwerlich als "vollkommen" bezeichnen, war sie doch - wie er selbst erkennt - lediglich Ersatz für ihr Bedürfnis nach eigenem Leben. Als Mann des Patriarchats hat Freud die Psyche seiner Mutter erfühlt, aber nicht verstanden, so wie er auch in seiner Theorie die weibliche Sexualität ausklammerte und sich erst nach dem Tod seiner Mutter, die mit 95 Jahren starb (Freud war 75!), um ein Verständnis darum bemühte. In der Theorie der weiblichen Sexualität, die er Anfang der 30er Jahre entwickelte, können wir heutigen Frauen uns jedoch nicht wiederfinden. Christa Rohde-Dachser hat mit ihrem Buch (15) dazu die wohl gründlichste Kritik vorgelegt. Eine Betrachtung der Dynamik in der Herkunfsfamilie Freuds kann dazu beitragen, diese feministische Kritik zu substantiieren und die Schwächen der Freudschen Psychoanalyse aus ihren Ursprüngen heraus zu verstehen. Die Psychoanalyse ist zwar eine außerordentlich kreative Leistung, mit der Freud seine verdrängten Kindheitstraumata theoretisch verarbeiten konnte, sie ist aber äußerst begrenzt, was ihre Allgemeingültigkeit, insbesondere für uns Frauen, anbelangt. Die Geschichte seiner Mutter Amalie hätte für Freud vielleicht den Schlüssel geliefert. Er konnte ihn nicht ergreifen. Gleiches läßt sich von Thomas und Heinrich Mann sagen. Schauen wir uns die Dynamik in der Familie Mann an und richten wir auch hier unser Augenmerk auf die Mutter der beiden großen Literaten. Julia, die Mutter von Heinrich und Thomas Mann in Realität und Dichtung Im Gegensatz zu Amalie Nathansohn-Freud wissen wir über die Kindheit von Julia da-Silva-Bruhns-Manns Kindheit recht viel. Sie hat ihre Lebenserinnerungen aufgeschrieben und uns so ein, wenn auch verklärtes, aber doch sehr anschauliches Bild ihrer Kindheit vermittelt. Sie ist 1851 in Brasilien geboren. Ihr Vater war Ludwig (Luiz) Bruhns, ein Handelsmann aus Lübeck, der die bildschöne, junge Maria da Silva aus einer reichen Familie geheiratet hatte. Auch er hatte sich ein Vermögen erworben und war Besitzer von Zuckerrohrplantagen und einer Schnapsbrennerei an der Küste Brasiliens. Das wunderschöne Haus in der Bucht von Parati, in dem Julia ihre frühe Kindheit verbrachte, existiert noch heute unverändert. Ludwig und Maria hatten fünf Kinder, Julia war die vierte. Bei der Geburt ihres sechsten Kindes starb Maria mit 28 Jahren. Julias Erinnerung an den Tod ihrer Mutter beschreibt sie mit herzzerreißenden Worten in ihrer Autobiographie. Ein Jahr darauf - Julia war 6 Jahre alt - verpflanzte Ludwig seine Kinder nach Lübeck, angeblich, damit sie Deutsche würden. Er selbst kehrte nach Brasilien zurück, nahm auch die Neger-Kinderamme mit, so daß die Kinder in der ihnen völlig fremden Umgebung ohne Deutschkenntnisse völlig verloren waren. Julia und ihre Schwester kamen in ein Pensionat, die Brüder zu Verwandten. Julia verbrachte ihre Kindheit und und frühe Jugend in Therese Boussets Pension (Thomas Mann hat sie in den "Buddenbrooks" als Sesemi Weichbrodt verewigt). Julia überdeckt in ihrer Autobiographie ihre Verzweiflung über den Verlust ihrer paradiesischen Kindheitswelt mit verharmlosenden Worten. Nur zwischen den Zeilen spürt man ihre Wut über den Verrat ihres Vaters. Und nicht einmal das ihrem Stand gemäße Leben wie die anderen Pensionärinnen konnte sie führen, denn sie mußte mit ihrer Pensionsmutter auch die Ferien verbringen. Sie sehnte sich danach, endlich aus der Pension herauszukommen. In ihren Träumen stellte sie sich vor, Schauspielerin zu werden, was ihr aber von Therese als unstatthaft ausgeredet wurde. (Ihre Tochter Carla, Thomas' und Heinrichs Schwester, wurde Schauspielerin, doch sie zerbrach daran, so als hätte das Verbot der Mutter weitergewirkt.) Nach der Konfirmation konnte Julia dem Pensionat entrinnen. Ihre Tante Emma (verheiratet mit einem Bruder von Ludwig Bruhns) nahmt sie und ihre Schwester auf. Die beiden Mädchen wurden "in die Gesellschaft eingeführt", es wurden Bälle für sie veranstaltet. Auf der Hochzeit ihrer Schwester verliebte sich Julia in ihren neuen Schwager Paul. Doch der Vater, auf Besuch aus Brasilien, wollte, daß sie "den Gegenstand ihrer schönen ersten Liebe"(16) vergessen sollte. Sie gehorchte, doch wird sehr deutlich, daß sie dies als einen zweiten Verrat ihres Vaters empfand. Kurz darauf, mit 18 Jahren, heiratete Julia standesgemäß den angesehenen Kaufmann Heinrich Mann, der später auch Senator der Stadt Lübeck wurde. In der Ehe holte sie nach, was sie in der Kindheit und Jugend vermissen mußte: Bälle, Opernbesuche, alles durfte sie sich jetzt erlauben. Es scheint, daß sie dabei ein wenig über die Grenzen dessen hinausging, was einer Lübecker Patriziersgattin erlaubt war. 1871, eineinhalb Jahre nach der Eheschließung bekam sie ihr erstes Kind, Heinrich. Er erhielt den Namen des Vaters, mit zweitem Namen wurde er Luiz, also nach dem Großvater Bruhns genannt. Heinrich war blond wie Heinrich Mann-Vater und wie Julias Vater Ludwig Bruhns. Bereits mit der Namengebung übernahm Heinrich - so scheint es mir - die ambivalenten Gefühle Julias gegenüber diesen beiden Männern - ihrem Vater und ihrem Ehemann. Julia war für Heinrich keine "richtige" Mutter. Ihre Wünsche waren immer noch darauf ausgerichtet, das auszuleben, was ihr versagt geblieben war. Während Julia weiter Bälle besuchte, wurde Heinrich von einfachen Kinderfrauen versorgt, die Mine und Stine hießen. Seine spätere Affinität zu Frauen der niedrigen Klassen könnte hier ihren Ursprung haben. In mehreren Novellen und Romanen schildert Heinrich Frauen, die Julia gleichen und die sich in kompromittierende erotische Situationen begeben und darüber ihren kleinen Sohn vernachlässigen. Und dann, vier Jahre später, 1875, wurde Thomas geboren. Er wurde mit zweitem Namen Paul genannt. Einer von Julias Brüdern hieß Paul, aber auch jener Mann, den ihr der Vater verboten hatte. Thomas war nicht blond, sondern dunkelhaarig wie Julias Brüder. Er wurde ihr Liebling. Im Jahre 1873, also noch vor Thomas Manns Geburt heiratete Julias Vater Ludwig noch einmal, und zwar Julias verwitwete Tante Emma. Ludwig kehrte mit Emma nach Brasilien zurück, während Julia wieder in Lübeck zurückbleiben mußte. Sie selbst hat Brasilien nie wiedergesehen. War dies nicht wie ein dritter Verrat des Vaters? (Ludwig hatte von Emma noch einmal 4 Kinder. Insgesamt ist er - Emmas Kinder aus erster Ehe mitgerechnet - Vater von 14 Kindern! Ein Über-Vater, der jedoch im Werk von Thomas und Heinrich Mann nicht vorkommt!) Die tiefe Sehnsucht, aber auch die verdrängte Wut über den Verrat des Vaters wird Julia - so scheint es - nie los. Ihre Kinder haben diese Gefühle der Mutter gespürt und verarbeitetet - wie, das werden wir noch sehen. Mit der Ankunft von Thomas wurde Heinrich, der Ältere, entthront. Er scheint sich heftig gewehrt zu haben, und das Unrecht nicht akzeptieren zu wollen. Doch letztlich mußte er resignieren: der Bruder überholte ihn auf allen Gebieten. Eine von Heinrichs Kindheitserinnerungen handelt von einer kleinen Geige:
Man kann diese Geschichte wie ein Motto für Heinrichs lebenslange Beziehung zu seinem Bruder ansehen. Es ist die resignierte Verzweiflung des Erstgeborenen, der vom Nachgeborenen, den die Mutter vorzieht, entthront wurde. Von Thomas gibt es keine Geschichten von Verrat. Erinnerungen an die Mutter sind harmonisch. Eine autobiographische Geschichte ist bezeichnend für seine Beziehung zur Mutter:
Er war der auserwählte Prinz der Mutter, allerdings kein "großer blonder Luiz" wie der Bruder Heinrich. Heinrich war der männlichere von beiden, Thomas beneidete ihn in diesem Punkt - in seinem Werk finden wir den Gegensatz vielfach dargestellt (Tonio Kröger - Hans Hansen). Auch Heinrich spielte diesen Trumpf seiner Männlichkeit immer wieder gegen den Bruder aus, so auch in seiner Verachtung für Thomas' homoerotische Neigungen, die dieser dem Bruder offen eingestand. In der Ehe hatte Julia noch drei weitere Kinder: zwei Töchter Lula und Carla und einen nachgeborenen Sohn, 20 Jahre jünger als Heinrich. Als der jüngste gerade ein Jahr war, starb der Senator Heinrich Mann mit 51 Jahren. Es war ein seltsamer, plötzlicher Tod, so als hätte er ihn bewußt oder unbewußt geplant. In seinem Testament verfügte er über das Schicksal der Kinder: Heinrich sollte kein Schriftsteller werden, Thomas der Mutter eine Stütze sein und seine Frau Julia sollte sich den Kindern gegenüber "fest zeigen und alle immer in Abhängigkeit halten. Wenn je sie wankend würde, so lese sie König Lear -". Julia erwies sich nicht als "fest", sondern nutzte ihre neugewonnene Freiheit - sie war 40 Jahre alt -, um noch einmal ein neues Leben zu beginnen. Wie ihre Tante Emma 20 Jahre zuvor verließ sie Lübeck, allerdings kam sie nur bis München. Ihren Salon bezeichnete Thomas später als "zahme, leicht lüsterne Halb-Bohème ihres entwurzelten, wenn auch mit Resten patrizischer Bürgerlichkeit möblierten Daseins". (19) Julia heiratete nicht wieder. Sie hatte in ihren beiden berühmten Söhnen und auch in ihrem jüngsten Sohn, der bei ihr lebte, die besten Partner. In späten Jahren schrieb sie einmal an Thomas zu seinem Geburtstag:
Doch sie blieb eine Zerrissene. Im Alter war sie von Ängsten verfolgt, wechselte wie gehetzt ständig ihre Wohnungen, lebte zuletzt nur noch in Hotelzimmern. Sie starb auch in einem Hotelzimmer - im Kreis ihrer Söhne. Ihre Kinder lebten die Zerrissenheit der Mutter aus: Die Söhne in ihrer Literatur, die sie berühmt machte - die Töchter im Leben, an dem sie scheiterten. Carla verübte mit 28 Jahren Selbstmord, nachdem sie in ihrem Beruf als Schauspielerin nicht reüssieren konnte und eine Ehe eingehen wollte. Der Verlobte hatte sich von ihr abgewandt, als er von ihrem leichtlebigen Vorleben erfuhr. Lula starb ebenfalls von eigener Hand, nachdem sie zunächst hochbürgerlich aber unglücklich verheiratet war. Nach dem Tod ihres Mannes wurde sie morphiumsüchtig und erhängte sich. Es ist faszinierend, das Bild der Mutter in Heinrichs und Thomas' Werk zu suchen und zu vergleichen. Denn beide haben Julia in sehr unterschiedlicher Weise porträtiert, die ihre unterschiedliche Beziehung zur Mutter widerspiegelt. An ihren beiden ersten Romanen kann man dies besonders gut erkennen: Thomas Mann wurde für seinen Erstlingsroman "Die Buddenbrooks" mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Er schrieb ihn zwischen seinem 22. und 24. Lebensjahr (1897-1899). Es ist die Geschichte seines Vaters und der Familie Mann über mehrere Generationen. Die Mutter Julia - im Roman Gerda Arnoldsen - hat er nicht mit ihren tragischen Kindheitserlebnissen in den Roman eingebracht. Gerda ist eine blasse Figur, sie hat keine Kindheit, keine Geschichte. Obwohl Julias Geschichte doch höchst dramatisch ist, hat sie Thomas nicht verwendet. (Auch in seinen anderen Werken kommt ihre Kindheitsgeschichte übrigens nicht vor.) Im Buddenbrook-Roman ist er selbst Hanno, der Sohn, der der Mutter beim Klavierspielen zuhört, der mit dem Vater leidet, weil er spürt, daß die Mutter ihre Gefühle auf den anderen Mann richtet, der mit ihr musiziert. Nachdem der Senator gestorben ist, stirbt auch Hanno, das Kind. Die Mutter kehrt zu ihrem Vater zurück. Mir scheint, daß Thomas Mann mit diesem Ende seines Romans seine tiefe Trauer über den Tod seines Vaters und den Verlust der Lübecker Welt zum Ausdruck gebracht hat. Er hat die Mutter geschont, indem er die Figur der Gerda blaß und unwirklich zeichnete. Nur zwischen den Zeilen können wir hören, wie er sie für den "Verfall der Familie" verantwortlich macht. Auch Heinrich hat in seinem Erstlingsroman "In einer Familie" eine Trauer über den Tod des Vaters verarbeitet. Er schrieb ihn kurz nach des Vaters Tod. Übrigens war er beim Schreiben im selben Alter wie Thomas als dieser - vier Jahre später - die "Buddenbrooks" schrieb. Heinrich aber erhielt keinen Preis für seinen Roman. Im Gegenteil, sein Erstling ist vergessen worden und in keiner Ausgabe seiner gesammelten Werke enthalten. Er ist daher in der Literaturwissenschaft weitgehend unbekannt. Wir stoßen also auch hier wieder auf das Thema der Brüder-Rivalität. Der Titel "In einer Familie" läßt vermuten, daß es sich um eine ähnliche Geschichte wie die "Buddenbrooks" handelt. Das ist, äußerlich betrachtet, nicht der Fall, denn Heinrichs Roman ist keine Familienchronik wie die "Buddenbrooks", sondern handelt nur von vier Personen. Doch zwei davon sind direkte Porträts, zum einen seiner Mutter Julia und zum anderen seiner eigenen Person. Hauptfigur ist Dora, eine 28jährige (!) Frau, die mit einem sehr viel älteren Mann unglücklich verheiratet ist. Dessen Tochter Anna aus seiner ersten Ehe lebt mit ihnen. Anna ist mit Erich verlobt. Als Erich ins Haus kommt, verfällt er der verführerischen Dora. Dora ist ein sehr genaues Porträt Julias. Heinrich dichtet ihr auch die tragische Kindheitsgeschichte seiner Mutter an. Und Erich ist ein vollkommen realitätsgetreues Selbstporträt seiner selbst. Heinrich fantasiert sich also als verführter Liebhaber seiner eigenen Mutter! Es gibt hocherotische Szenen zwischen ihnen. Am Schluß erschießt sich Dora vor den Augen der beiden jungen Verlobten. Dabei ist interessant, daß Heinrich eigentlich den jungen Mann sterben lassen wollte, d.h. sich selbst, dann aber den Schluß änderte in einen Selbstmord der verführerischen Mutter-Figur. Beide Brüder haben also in ihren Erstlingsromanen die tragische Familiendynamik, die sie selbst erlebten, literarisch umgesetzt. Doch so wie ihr jeweiliges Erleben sich unterschied, ist auch ihr jeweiliges literarisches Produkt verschieden. Heinrich weist die Schuld der Mutter zu, aber auch sich selbst, indem er sich zu ihrem verführten Liebhaber macht, der eigentlich Selbstmord verüben müßte. Thomas deutet die schuldhafte Verstrickung der Mutter nur an und entläßt sie aus der Schuld. Es ist der kleine Sohn - er selbst - der für sie mit seinem Tod büßt. Heinrich konnte eine Frauengestalt erfinden, in der die Mutter lebendig wurde, er konnte sogar sich selbst als ihren Liebhaber erdichten - vielleicht, weil Julia in ihn ihren vitalen Über-Vater projizierte, dessen Namen (Luiz) er ja auch trug. Thomas dagegen mußte ihrer Person gegenüber distanziert bleiben, konnte sich ihr auch in seiner Dichtung nur als Kind nähern, war er doch von ihr zu ihrem Prinzen auserkoren. Ich meine, man kann an diesen beiden Erstlingsromanen, die ja auch zeitlich noch sehr nahe zu ihrer eigenen Kindheit entstanden, erkennen, wie genau beide Söhne die Dynamik ihrer Familie und die Seele ihrer Mutter verstanden. Allerdings wußten die Söhne für ihre Roman-Mütter auch keinen Ausweg als Tod und Verzweiflung. Ich kann leider nicht ausführlich darauf eingehen, wie sich die Mutterbeziehung im weiteren Leben von Heinrich und Thomas Mann - insbesondere in ihren Partnerbeziehungen - wiederholte. Nur so viel: Aus seinen jetzt vollständig veröffentlichten Tagebüchern wissen wir, daß Thomas Mann sich Frauen gegenüber zeit seines Lebens fremd fühlte. Ihn zog es zum männlichen Geschlecht, doch gestattete er sich nicht, seine homoerotischen Gefühle zu leben, sondern gab sie an seine Söhne weiter. Klaus und Golo Mann waren homosexuell. Klaus verübte mit 43 Jahren Selbstmord. Und auch der jüngste Sohn Michael starb von eigener Hand. Heinrich war im Leben Frauen sehr zugewandt. Seine Partnerinnen stammten meist aus dem Schauspieler- oder Vergnügungsmilieu. Seine erste Frau Mimi, von der er geschieden war, starb an den Folgen ihrer KZ-Haft. Nelly, die zweite Frau nahm sich 1944 das Leben, als sie mit Heinrich in der Emigration in den USA lebte. Auch Heinrichs größte
Liebe, seine Schwester Carla, endete durch Freitod. Er hatte Carla in
mehreren Novellen und Romanen zur Hauptfigur gemacht und sie in ihren
erotischen Verstrickungen als Schauspielerin (der unerfüllte Wunsch
der Mutter Julia!), dargestellt. In mehreren Werken läßt er
sie am Ende sterben. Als Carla dann tatsächlich Selbstmord verübte,
war Heinrich untröstlich. Er gestattete sich aber dennoch, kurz nach
ihrem Tod ein Drama zu schreiben und es aufführen zu lassen, in dem
er die Lebensgeschichte der Schwester, einschließlich ihres tragischen
Endes auf der Bühne nachspielen ließ. (Auch Thomas schildert
das Schicksal seiner Schwestern in einem seiner Werke, dem "Doktor
Faustus".) Doch gleichzeitig - so denke ich - ist auch deutlich geworden, daß ich es lieber sähe, wenn diese Mütter eine Chance gehabt hätten, ihr eigenes Leben zu leben. Ich weigere mich gutzuheißen, daß der Preis der "Größe" von Männern - was immer wir darunter verstehen - von den sie umgebenden Frauen, insbesondere ihren Müttern (aber auch ihren Ehefrauen, Schwestern, Töchtern) bezahlt werden muß. Das Unrecht, das Frauen angetan wird, wirkt weiter im Verborgenen - über Generationen hinweg. (1) Vgl. dazu Marianne
Krüll: "Die Geburt ist nicht der Anfang. Die ersten Kapitel
unseres Lebens - neu erzählt." Stuttgart 1989, 1992 (2) (zurück
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