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In:
Eva Koch-Klenske (Hrsg.): Die Töchter der Emanzen - Kommunikationsstrukturen
in der Frauenbewegung. München 1991 (Verlag Frauenoffensive).
Dreizehn Erlaubnisse
für Frauen und Feministinnen
Marianne
Krüll
An meiner Pinnwand
direkt vor mir hängt das Plakat von Elga Sorge, der bekannten feministischen
Theologin, auf dem sie - in Analogie zu den zehn Geboten in der Bibel
- für uns Frauen zehn "Erlaubnisse" aufgeschrieben hat,
die ich einfach wunderbar finde. Die vierte Erlaubnis heißt zum
Beispiel: "Du darfst Mutter und Vater ehren, lieben und verlassen,
denn Ihr seid zur Freiheit berufen, nicht zur Knechtschaft" oder
die neunte: "Du darfst den Mann Deiner Nächsten und alle Dinge,
die sie hat, lieben, doch begehre sie nicht als Besitz." Es ist die
"Göttin", die uns erlaubt, auch andere Götter zu verehren,
uns viele Bilder von ihr zu machen, wir dürfen lieben, aber auch
neidisch, wütend oder böse sein - kurz, es ist eine Moral der
Menschlichkeit, die endlich einmal keine reine Männersicht widerspiegelt,
sondern uns Frauen unseren Platz in dieser Welt zurückgibt; eine
Moral, die nicht Gebote und Verbote aufstellt, sondern uns allen zur Würde
unseres Mensch-Seins zurückführt.
Ich habe Elga Sorges
Idee aufgegriffen, und hier 13 "Erlaubnisse" formuliert, die
im Bereich der Kommunikation zwischen Frauen vielleicht so etwas wie Regeln
einer konstruktiven Streitkultur darstellen können:
1. Erlaubnis
Jeder Frau
ist es erlaubt, sich als Opfer patriarchalischer Verhältnisse zu
fühlen oder nicht. Wenn sie meint, es nicht zu sein, sondern die
Männer bemitleiden zu müssen; wenn sie meint, es viel besser
zu haben als die Männer; wenn sie meint, Feministinnen seien männerhassende
Verrückte usw., darf sie diese Meinung behalten. Sie darf sich Zeit
nehmen, Erfahrungen zu machen, die diese Meinung ändern. Feministinnen
dürfen Wut haben, wenn ihnen solche Patriarchalinnen in den Rücken
fallen, sie dürfen aber auch alle Anstrengungen machen, diese Frauen
zu einer anderen Meinung zu bringen, sie zu einer Patriarchatskritik zu
verführen, sie dürfen sogar Geduld mit ihnen haben in der sicheren
Erwartung, daß die meisten von ihnen irgendwann von selbst darauf
kommen werden, daß auch sie Opfer des Patriarchats sind.
2. Erlaubnis
Jeder Feministin
ist es erlaubt, ihren Weg zu gehen, ihre politische Strategie zu verfolgen,
auch wenn sie vom Weg anderer Feministinnen abweicht. Sie hat ihre eigene
Biographie, hat eigene Erfahrungen mit Männern und Frauen gemacht,
darf also auch die ihr gemäße Form der Auseinandersetzung mit
dem Patriarchat wählen. Es ist uns erlaubt, unseren besonderen Weg
als Bereicherung für die gesamte Frauenbewegung anzusehen. Lesben
ist es erlaubt, Heterofrauen auf ihre heimliche Bisexualität aufmerksam
zu machen; radikalen Feministinnen ist es erlaubt, "bravere"
Frauen aufzurütteln; vergewaltigte Frauen haben die Erlaubnis, einen
unverzeihlichen Haß auf Männer zu haben und die Solidarität
aller anderen Frauen zu fordern; Heterofrauen ist es erlaubt, Männer
zu lieben; Mütter dürfen auf ihr Mutter-Sein stolz sein; Solistinnen
ist es erlaubt, sich selbst genug zu sein.
3. Erlaubnis
Jede Feministin
darf davon überzeugt sein, daß ihr jeweiliger Weg der beste
ist. Sie hat auch die Erlaubnis zu sehen, daß jede andere Schwester
- ob Feministin oder nicht - die gleiche Überzeugung haben darf.
Wir alle haben die Erlaubnis, uns gegenseitig zu unserem jeweilig besten
feministischen Weg zu verführen!!
4. Erlaubnis
Jeder Frau
ist es erlaubt, ihre Sicht für wahr zu halten und die Sicht einer
anderen Frau für falsch oder unwahr anzusehen. Jede Frau hat gleichzeitig
die Erlaubnis, sich in die Sichtweise dieser anderen Frau hineinzuversetzen
und zu erspüren, wie diese Frau ihre eigene Sicht für wahr hält,
und möglicherweise meine Sicht total falsch oder unwahr findet.
5. Erlaubnis
Es ist erlaubt,
zu irren. Es ist auch erlaubt zu erkennen, daß andere irren. Wenn
wir den Irrtum bei anderen entdeckt haben, dürfen wir uns fragen,
ob es sich vielleicht um einen Fehler handelt, den wir als Balken im eigenen
Auge nicht mehr zu erkennen vermögen. Irren ist nicht nur menschlich-fraulich,
sondern auch eine Chance, neue Wege zu suchen. Auf, laßt uns Fehler
machen!
6. Erlaubnis
Es ist erlaubt,
unter Frauen - Feministinnen oder nicht - zu streiten, auch wenn wir uns
verletzen. Wenn Verletzungen vorgekommen sind, dürfen wir ein gemeinsames
Heilungsritual durchführen, um uns wieder zu versöhnen. Die
sich verletzt fühlt, darf ihren Schmerz zum Ausdruck bringen, darf
um Hilfe bei der Heilung bitten; diejenige, die eine andere verletzt hat,
darf sich vergeben. (Diese Erlaubnis ist besonders wichtig für Mütter,
die meinen, ihren Kindern gegenüber versagt zu haben!)
7. Erlaubnis
Wir haben die
Erlaubnis, unsere Mutter zu hassen für das, was sie schlecht gemacht
hat und zu lieben für das, was sie uns gegeben hat. Irgendwann haben
wir die Erlaubnis, die Liebe überwiegen zu lassen, weil der Haß
auf unsere Mutter auf uns selbst zurückwirkt, vor allem, wenn wir
selbst Mutter sind.
8. Erlaubnis
Es ist erlaubt,
als Feministin Humor zu haben.
9. Erlaubnis
Es ist erlaubt,
uns sinnlich-körperlich zu lieben. Selbstverständlich ist es
erlaubt, sich selbst sinnliche Genüsse jeglicher Art zu verschaffen.
10. Erlaubnis
Es ist erlaubt,
Männern jegliche Entwicklungshilfe zu verweigern. Wir dürfen
steinhart bleiben und sie auf sich selbst oder auf die Solidarität
mit anderen Männern zurückverweisen, wenn sie wieder angekrochen
kommen. Es ist erlaubt, andere Frauen zu ermuntern, selbiges zu tun.
11. Erlaubnis
Es ist erlaubt,
das Patriarchat zu Fall bringen zu wollen, ohne dabei gleich wieder an
die Männer zu denken, die ja "davon auch profitieren würden".
Wir dürfen ausschließlich an uns Frauen und unser Wohl denken,
wenn wir unsere Utopie einer frauenfreundlichen Gesellschaft entwickeln.
Es ist aber auch erlaubt, die Vorteile, die das Patriarchat mit sich gebracht
hat, in unsere Utopien einzubeziehen.
12. Erlaubnis
Es ist erlaubt,
unsere Geschichte(n) wiederzuentdecken und neu zu schreiben, neu zu er-finden;
und zwar die schwarze(n) Schatten-Geschichte(n) der Verfolgung und Vernichtung
unserer Ahninnen als Hexen ebenso wie die glorreiche(n) Geschichte(n)
aus Zeiten des Matriarchats, das mindestens 30 000 Jahre bestand, während
das Patriarchat erst lächerliche 5000 Jahre aufweisen kann.
13. Erlaubnis
Es ist erlaubt,
Fäden zu spinnen zwischen Frauen in aller Welt, um ein Netz zu knüpfen,
das uns trägt, und in dem wir das Patriarchat wie in einem Sprungtuch
auf- und abhüpfen lassen können. Es ist erlaubt zu erkennen,
daß wir Frauen auch im Patriarchat immer eine sehr viel größere
Macht innegehabt haben, als man(n) uns zugestanden hat, weil wir diese
Macht nur im Geheimen, als "Geheim-Dienst" ausüben konnten.
Wir haben die Erlaubnis, unsere Macht wiederzufinden und offen zum Ausdruck
zu bringen. Wir geben uns die Erlaubnis, uns über alle Grenzen hinweg
als Frauen zu be-machten.
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